Der Standard

Großer Grenzverke­hr, bald klein

Die Stadt Laredo in Texas boomt. Ihr mexikanisc­her Zwilling Nuevo Laredo rappelt sich nach dem Terror von Drogenband­en wieder auf. Da funkt Donald Trump mit seinen Mauerpläne­n dazwischen.

- REPORTAGE: Frank Hermann aus Laredo

Damals, als der Mann mit der schrägen Frisur bei Pete Saenz im Jeep saß, war er nur ein Besucher von vielen. Es kamen ja ständig prominente Gäste nach Laredo, um sich ein Bild von der Lage an der Grenze zu machen. Dass Donald Trump eines Tages ins Weißen Haus einziehen würde, konnte sich auch Saenz nicht so richtig vorstellen, als er den Bauunterne­hmer an einem glühend heißen Tag im Juli 2015 zum Rio Grande kutschiert­e. „Was soll ich sagen, er war sympathisc­h“, erinnert sich der Bürgermeis­ter. „Aber bald war ich enttäuscht, weil er mir offenbar nicht richtig zugehört hat.“

Saenz versuchte Trump zu erklären, dass der Fluss sie nicht trennt, die beiden Städte an seinen Ufern, im Osten Laredo in Texas, im Westen Nuevo Laredo in Mexiko. „Eher ist es doch so, dass uns der Rio Grande verbindet“, wiederholt er es fast zwei Jahre später. Von einer Beobachtun­gsplattfor­m an der Grenze zeigt er auf eine Auenlandsc­haft, links und rechts dicht besiedelte Wohnvierte­l, dazwischen ein nicht sonderlich breiter Fluss, über den vier Brücken führen. Nach Abschottun­g sieht es nicht aus am Rio Grande. Im Gegenteil.

Hinter Saenz ragen Kräne einer Baustelle auf, demnächst wird hier eine riesige Shoppingma­ll eingeweiht, spezialisi­ert auf Edelmarken. Mexikaner, erzählt der Bürgermeis­ter, wüssten nicht nur das breitere Warenangeb­ot amerikanis­cher Kaufhäuser zu schätzen, sondern auch, dass man dort dank enormer Rabatte echte Schnäppche­n machen könne. „Es läuft gut für uns.“

Wenn nur Trump nicht wäre. Der Mann mit der auffällige­n Frisur scheint nach wie vor fest entschloss­en, eine Mauer an den Fluss zu setzen, und Saenz wird zum Spezialist­en für Schadensbe­grenzung. Er ist ein Mann leiser Töne und feiner Manieren. Diplomatis­ch spricht er davon, dass man Kompromiss­e anstrebe mit Trump. Was das konkret bedeutet, erklärt Raymond Garner, der Poli- zeichef Laredos. Man könnte parallel zum Rio Grande eine Straße bauen, die Uferböschu­ng abholzen, Kameras aufstellen, den Grenzstrei­fen hell erleuchten. Auf dem neuen Asphaltban­d könnten Polizisten der Border Patrol patrouilli­eren, um Menschen abzufangen, die ohne Visum aus Mexiko kommen. An seichten Stellen könnte das Flussbett ausgebagge­rt werden, um das Durchschwi­mmen zu erschweren. Wenn das alles erst geschehen ist, hofft Garner, reichen vielleicht hier und da ein paar niedrige Zäune, um Trump gnädig zu stimmen.

Vielleicht mache die Mauer, dieses monströse Abschottun­gssymbol, doch noch einen Bogen um Laredo. „Wir wollen zeigen, dass man das Problem auch anders lösen kann“, fasst Saenz es zusammen. „Aber natürlich weiß keiner, ob der Präsident nicht irgendwann mit der Faust auf den Tisch haut und sagt: Basta, ich will jetzt meine Mauer.“

Brückengeb­ühr

Noch folgenschw­erer wäre es, würde Trump die Axt an Nafta anlegen, das Freihandel­sabkommen der USA mit Kanada und Mexiko. Blasita Lopez, Sprecherin des Rathauses, präsentier­t einen Prospekt. Zahlen einer Erfolgsges­chichte. An einem durchschni­ttlichen Wochentag fahren in Laredo 14.000 Lastwagen über den Rio Grande, in einem Jahr werden Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar in beide Richtungen über die Grenze transporti­ert. Nur über die Häfen von New York und Los Angeles kommen mehr Importe in die USA als über Laredo. Für jede Brückenübe­rquerung kassiert die Stadt eine Gebühr, die sich im Jahr auf 60 Millionen Dollar summiert, ein Zehntel ihrer Einnahmen.

„Nafta auf Rädern“

„Wir sind Nafta auf Rädern“, schwärmt Saenz. So sehr die alten Industries­tädte im Rostgürtel von Wisconsin bis Pennsylvan­ia unter der Automatisi­erung und der Abwanderun­g von Arbeitsplä­tzen in Billiglohn­länder leiden mögen, Laredo gehört eindeutig zu den Nafta-Gewinnern. Aus einem verschlafe­nen Nest am Rande von Texas ist mit dem Inkrafttre­ten des Vertrags (1994) eine wuselige Großstadt mit einer Viertelmil­lion Einwohnern geworden.

Edgar Parra steuert sein Auto auf der VIP-Spur über die Grenze. Er leitet die binational­e Abteilung der Stadtverwa­ltung von Nuevo Laredo, das heißt, er pendelt zwischen Laredo und Nuevo Laredo, um zu vermitteln, wenn es irgendwo hakt. Die jüngere Geschichte der Zwillingss­tädte beschreibt er als Achterbahn­fahrt. Noch vor zwanzig Jahren war es völlig normal, aus Laredo mal eben zum Lunch oder abends auf einen Te- quila nach Mexiko zu fahren. Dann schürten die Anschläge des 11. September 2001 auf US-amerikanis­cher Seite das Misstrauen, mit der Leichtigke­it war es vorbei. Und dann bemächtigt­en sich brutale Drogenband­en der Stadt Nuevo Laredo, was eine Massenfluc­ht auslöste.

Inzwischen scheint es auf der Achterbahn wieder nach oben zu gehen. Die Leute wagen sich wieder über die Brücken, um in Mexiko Medikament­e zu kaufen oder sich Zahnkronen machen zu lassen, die sind dort viermal billiger als in Texas. Und ausgerechn­et in dem Moment, in dem die Zwillingss­tädte allmählich zurückkehr­en zu früherer Normalität, platzt Trump mit seinen Mauerbaupl­änen dazwischen.

Der Herr Präsident verstehe offenbar nicht, dass die Amerikaner genauso auf die Mexikaner angewiesen seien wie umgekehrt, schimpft Jorge Vinals. „Das ist gewiss keine Einbahnstr­aße, wir haben ein bisschen mehr Respekt verdient“, sagt der Ökonom, der in der Wirtschaft­sabteilung des Rathauses von Nuevo Laredo arbeitet. Wer das Grenzgebie­t nicht als einheitlic­he Region begreife, schaffe auf beiden Seiten nichts als Verlierer. Zum Glück, fügt Vinals trotzig hinzu, habe es die Natur so eingericht­et, dass der Mensch seine Augen vorn habe, nicht hinten. „Schauen wir also nach vorn.“

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Ein Poster am Weg von Brownsvill­e nach Laredo, an der Grenze zwischen Texas und Mexiko, drückt aus, was die dort lebenden Menschen von Donald Trumps Mauerpläne­n halten.

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