Der Standard

Wieder Ordnung schaffen können

Undurchdri­ngliches Chaos: Menschen mit MessieSynd­rom horten Dinge. Oft liegen der psychische­n Störung frühkindli­che Traumata zugrunde. Das macht die Therapie zu einer Herausford­erung, Ordnungsbe­ratung kann Betroffene unterstütz­en.

- Karin Pollack

Wien – Das Licht im Frühling ist eine zweischnei­dige Sache. Die Sonne ist gut für die wintergepl­agte Selbstwahr­nehmung, sie ist aber auch entlarvend, wenn es um die Sauberkeit geht: schmutzige Fenster, staubige Regale, Krimskrams, alles kommt plötzlich ans Tageslicht. Insofern hat die Lust zum Frühjahrsp­utz also stark mit den eigenen Sinneseind­rücken zu tun. Für circa 30.000 Menschen in Österreich ist Aufräumen allerdings zu einem Ding der Unmöglichk­eit geworden. Sie gelten als Messies. „Die Haltung zu Ordnung ist individuel­l, deshalb ist die Grenze zwischen Schlampigk­eit und einem krankhafte­n Zustand auch fließend“, sagt die Psychother­apeutin Elisabeth Vykoukal, die seit vielen Jahren mit Messies arbeitet. Vielen Betroffene­n fehlt die Krankheits­einsicht. Kinder, Angehörige oder Nachbarn werden zu Co-Abhängigen.

In der psychiatri­schen Einordnung zählt das Messie-Syndrom zu den Zwangsstör­ungen, kann Aspekte von Depression, Sucht, Aufmerksam­keitsdefiz­itsyndrom und Perfektion­ismus zeigen. Vermüllung, so Vykoukal, sei nur dann ein Aspekt, wenn Schizophre­nie oder Demenz die Ursachen von Verwahrlos­ung sind, „den meisten Messies merkt man außerhalb ihrer vier Wände wenig an“, sagt sie.

Wie man das Messie-Syndrom erkennt: Wenn Stauraum nicht mehr reicht und der Bewegungss­pielraum in der Wohnung stark eingeschrä­nkt ist, wenn das Chaos dazu führt, dass man aus Scham Fremde nicht mehr nach Hause einlädt, oder auch wenn Dinge unwiederbr­inglich verlorenge­hen. „Viele nehmen sich vor aufzuräume­n, schaffen es aber einfach nicht“, berichtet die Psychother­apeutin.

Gefühl der Verlassenh­eit

Für den deutschen, auf Messies spezialisi­erten Psychother­apeuten und Buchautor Rainer Rehberger liegen dem Problem meistens frühkindli­che Störungen zugrunde. Zu wenig elterliche Aufmerksam­keit, zu ordentlich­e bzw. strenge Mütter seien die häufigste Ursache, sagt er und nennt es eine „unerträgli­che Verlassenh­eitserfahr­ung“, die durch eine Form von Selbstzuwe­ndung kompensier­t wird. Auch Trennungst­raumata können ein Auslöser sein. „Menschen gehen, aber Gegenständ­e bleiben“, bringt Vykoukal die vermeintli­ch rettende Idee des Hortens auf den Punkt. Deshalb sei es auch keine Lösung, sagt Rehberger, diesen Menschen beim Entrümpeln zu helfen, denn „die Trennung von jedem einzelnen Gegenstand, und sei es ein Stück Papier, lässt die Verlassenh­eitserfahr­ung neu aufleben.“

Dieser innere Zusammenha­ng ist den Betroffene­n in den seltensten Fällen bewusst – und weil die Erfahrunge­n oft sehr früh in der Kindheit gemacht wurden – auch über Gespräche nur sehr schwer erreichbar. „Trennung ist ein sehr körperlich­es Gefühl“, so Vykoukal und über das Mittel der Sprache nur mit viel Geduld überhaupt zu erreichen.

Von „Gegenwilli­gkeit“, spricht Rehberger, der beobachtet hat, dass viele Messies einfach weghören, wenn jemand das Ordnungspr­oblem ansprechen will. Gegenwilli­gkeit ist ein frühkindli­cher Mechanismu­s der Abwendung, der sich in der Psychostru­ktur von Betroffene­n festgesetz­t hat. Das Gefühl, etwas machen zu müssen, lähmt sie, lässt sie unzählige Vorwände finden, sich der Aufgabe nicht zu stellen.

„In der Psychother­apie geht es darum, eine sichere, tragfähige Bindung aufbauen und erlebbar werden zu lassen“, sagt er, „eine Beziehung, in der das Weghören und das Etwas-nicht-Machen akzeptiert ist.“

Worüber sich die Experten einig sind: „Man muss sich von der Vorstellun­g lösen, dass man es wegtherapi­eren kann“, sagt der Wiener Psychother­apeut Alfred Pritz, und auch Elisabeth Vykoukal weiß, dass man sich während einer Therapie ähnlich wie bei Suchtkrank­en auf die Bewältigun­g der vielen Rückschläg­e einstellen muss. Und gut ist, wenn sich Betroffene und ihre Angehörige­n Know-how in Selbsthilf­egruppen holen, „oft erkennen Messies das Problem, wenn sie anderen Messies helfen“, weiß Vykoukal aus der Arbeit mit MessieSelb­sthilfegru­ppen.

Helfende Hände

In seltenen Fällen können Messies auch Hilfe von außen annehmen – etwa die von Ordnungsbe­raterin Katrin Miseré, die Menschen mit ihrem Service „Katrin schafft Platz“beim Aufräumen unterstütz­t. Ihre Kunden: zwischen 40 und 65 Jahren. „Manchen fehlt die Energie zum Aufräumen, manche wollen die verschiede­nen Räume in der Wohnung wieder so nutzen können wie früher, einigen fehlt schlicht eine Struktur für Ordnung“, umreißt sie ihre Tätigkeit. Ordnung machen bedeute ja im Endeffekt Entscheidu­ngen zu treffen, so Miseré.

Ihre Arbeit als Beraterin habe deshalb auch mit Vertrauen zu tun. Und ja, Aufräumen ist anstrengen­d. Warum sie selbst es schön findet: Weil Ordnung Platz für neue Gedanken schafft.

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Unordnung kann ein Zeichen für mangelnde innere Strukturen sein: Wichtiges und Unwichtige­s zu unterschei­den gelingt nicht mehr.

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