Madame weiß alles
Leider nicht rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse soll dieses Wochenende ein Buch erscheinen, das den Kanon einschlägiger Literatur schöner bereichern dürfte als so manches dort ausgestellte Werk. Angekündigt wurde es in der für ihren literarischen Tiefgang bekannten Publikation „Österreich“: PuffMama lässt die Society zittern. Glaubt man dem Blatt, handelt es sich bei der Zitterpartie um seriöse Gesellschaftskritik aus noch seriöserer Quelle. Sie war die berühmteste Puffmutter Österreichs, führte über drei Jahrzehnte das edelste und teuerste Bordell des Landes, bediente die High Society: Nina Janousek (67); wegen ihres extravaganten Aussehens „Madame Nina“genannt.
Über drei Jahrzehnte die berühmteste Puffmutter Österreichs und erst mit 67 in den Spalten von „Österreich“– das lässt auf redaktionelle Schwächen schließen, doch Fellner macht es gut. Ihr Ninas Bar Club am Bauernmarkt in der Wiener City ist bis heute legendär: Spitzen-Politiker, berühmte Schauspieler und Künstler, Unternehmer-Größen, Top-Polizisten und hohe Geistli- che gaben sich bei Nina und ihren Damen die Klinke in die Hand.
Jetzt werden sie mit den Folgen ihres Klinkenputzens konfrontiert. Nicht wenige ihrer prominenten Freier werden mit feuchten Händen auf den 1. April warten. Denn dann präsentiert Janousek auf 224 brisanten Seiten ihr Enthüllungsbuch „Madame Nina weiß alles“. Für diesen Thesaurus erotischer Erkenntnisse sind 19,90 Euro sicher nicht zu viel verlangt, verspricht er doch nicht weniger als ein Sittengemälde der Wiener Society, zumindest eine Sammlung amüsant-pikanter Anekdoten oder das, was man bei „Österreich“darunter versteht: Als Hollywood-Star Charlie Sheen in Wien die Abenteuer-Klamotte „Die drei Musketiere“drehte, war er vier Wochen lang Stammgast bei „Madame Nina“– und vergaß einmal seine sündteure CalvinKlein-Unterhose.
In diesem Milieu in vier Wochen nur einmal eine sündteure Unterhose zu vergessen deutet entweder auf ein hohes Maß an Askese oder auf eine – vielleicht hollywoodbedingte – Abneigung gegen Unterhosenverschwendung hin. Und weiter schildert Madame Nina, weshalb sie dem Austropop-Star Falco schlussendlich Hausverbot erteilt hat und welche erotischen Vorlieben „ein Bundespräsident“hatte. Vielleicht bestanden sie im Hissen einer Benger Feinripp zu den Klängen der Bundeshymne. Aber nicht zu früh gefreut: Seinen Namen zu erraten obliegt dem Leser von „Madame Nina weiß alles“.
Offenbar gab es auf diesen Bericht vom Dienstag der Woche, in dem vom edelsten und teuersten Bordell des Landes die Rede war, empörte Beschwerden aus der Provinz. Daher erschien in der Donnerstag-Ausgabe von „Öster- reich“die Geschichte noch einmal, diesmal war allerdings unter dem Titel Puffmutter plaudert über das sündige Wien als Ort der Handlung nur noch das Nonplusultra des Wiener Rotlichts – das edelste Bordell der Metropole angegeben.
So schmerzlich diese Rückstufung der Lokalität war, so erfreulich die Erhebung der Puffmutter. Da eine Erscheinung namens Nina Janousek in Wien und Tschechien a priori nur bescheidene Extravaganz verheißt, eine solche von „Österreich“aber am Dienstag im höheren Interesse der schönen Literatur herbeigeschrieben werden musste, galt es zunächst ins Französische – auf Madame Nina – zu wechseln, und zwar wegen ihres nun extravaganten Aussehens. Zwei Tage später erschien der Redaktion die Konzentration auf
das Äußere als Unterbewertung einer Literatin, weshalb es nun hieß: Nina Janousek wurde selbst zu einer Legende, die ehrfurchtsvoll „Madame Nina“genannt wurde. Das ist schon ziemlich nahe an der Vergöttlichung einer Puffmutter. Man wagt sich gar nicht vorzustellen, wie sich in „Österreich“erst der Bericht über die Buchpräsentation lesen wird.
Die Kundschaft hingegen wurde in der Donnerstag-Ausgabe wesentlich geschäftsmäßiger dargestellt, als man es nach der romantischen Stimmung mit Unterhosenflair von zwei Tagen zuvor erwartet hätte. Bei ihr gingen die prominentesten und reichsten Freier ein und aus, bezahlten viel Geld für den Service der ausgewählt hübschen Mädchen. Aus den hohen Geistlichen wurden ein Kardinal und ein Bischof, erstmals trat eine Spitzenpolitikerin auf, und apropos Falco: Zu dessen Tod hat „Madame Nina“ihre ganz eigene These. Die hätte „Österreich“zu dessen kürzlich aufwendig zelebrierten runden Geburtstag wie einen Bissen Brot brauchen können, um die „Krone“zu überflügeln.