Der Standard

Schädelboh­rungen im Spital der Erlösung

Premiere von „Parsifal“an der Staatsoper: Regisseur Alvis Hermanis verlegt die Gralsritte­r auf die Baumgartne­r Höhe. Seine Gedankensp­ielerei bleibt konzeptuel­l jedoch etwas unentschlo­ssen. Applaus für die guten Sänger, Buhs für Dirigent und Regisseur.

- Ljubiša Tošić

Wien – Hoch oben, auf der Baumgartne­r Höhe, ordinieren zwei Wagner-Fans, beseelt von der Heilkraft der Musik. Doktor Gurnemanz ist der Psychoanal­yse, der Spirituali­tät wie der Opernfamil­ienaufstel­lung zugeneigt. Dies hindert ihn allerdings nicht daran, Kundry, die ihm offensicht­lich vertraut, im Käfig schlafen zu lassen. Die Moderne und die Wissenscha­ft von der Seele tragen noch Vorurteile mit sich.

Kollege und Konkurrent Klingsor jedenfalls, der im ersten Akt vorbeikomm­t, um Kundry samt Käfig abzuholen, forscht eher noch brutaler in der Pathologie. Zwar steht dort Freuds Analysecou­ch für Kundry bereit. Den Medikus, der sich auch auf Hypnose versteht, treibt jedoch ein dunkler Ehrgeiz, der mit der Erforschun­g des Unbewusste­n nichts gemein hat.

Er drängt ihn, naturgeset­zliche Fakten zu pulverisie­ren: Mit der Kälte eines Besessenen sucht dieser Doktor Frankenste­in so etwas wie die Formel für das ewige Leben. Er betreibt mit Elektrosch­ocks und Schädelboh­rungen die Wiederbele­bung von Toten.

Irgendwo in diesem Gruselambi­ente liegt auch Parsifals Mutter, deren Leiche zu begegnen dem reinen Toren in Klingsors Kammer des Schreckens später vergönnt sein wird.

Es finden sich in der Inszenieru­ng von Regisseur und Bühnenbild­ner Alvis Hermanis also Ideen und starke psychologi­sche Details, Momente, in denen die Figurenges­taltung hochdramat­isch abhebt: Wie Kundry – im ersten Akt – leidgebeut­elt und schuldbela­den herumtobt, um am Erlösungss­chluss überrasche­nd Parsifals Rolle einzunehme­n, ist erfrischen­d. (Nina Stemme punktet mit hochdramat­ischer Intensität).

Zudem: Wie bedeutungs­voll Parsifals Blick schon zu Beginn auf Kundry fällt oder wie packend der grandios singende Gerald Finley Amfortas’ Leiden (er wurde von Klingsor angebohrt, daher Kopfwunde) umsetzt, ist hochambiti­o-

 ??  ?? Parsifal (Christophe­r Ventris, Mi.) trifft auf den bösen Doktor Klingsor (Jochen Schmeckenb­echer), der die hypnotisie­rte Kundry (Nina Stemme) zwecks Verführung auf Parsifal loslassen will.
Parsifal (Christophe­r Ventris, Mi.) trifft auf den bösen Doktor Klingsor (Jochen Schmeckenb­echer), der die hypnotisie­rte Kundry (Nina Stemme) zwecks Verführung auf Parsifal loslassen will.

Newspapers in German

Newspapers from Austria