Der Standard

Vom Ausbruch aus den Blasen

In Wien fand ein Symposium zum Thema Kulturpoli­tik und Rechtspopu­lismus statt

- Stefan Weiss

Wien – Brexit, Trump und die Wahlerfolg­e rechter Parteien lösen unter Künstlern zunehmend Besorgnis aus. Fälle von Zensur häufen sich, Kulturbudg­ets werden gekürzt oder konservati­v umgeschich­tet, rechte Demagogen veranstalt­en digitale Treibjagde­n auf unliebsame Künstler. Woher rührt die schleichen­de Revolution von rechts? Wie umgehen mit politische­n Kräften, die das liberale Kulturvers­tändnis zurückdreh­en wollen? Und welche Strategien kann eine offene Kulturpoli­tik entwickeln, um den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt wieder zu stärken?

Fragen wie diese wurden bei einem internatio­nal besetzten Symposium unter dem Titel „Kulturpoli­tik und Rechtspopu­lismus“an der Wiener Angewandte­n diskutiert. Mit „wir da unten gegen die da oben“beschrieb der Politologe Werner T. Bauer die vertikale Dimension, auf die Populisten setzen würden. Beim Rechtspopu­lismus komme noch eine horizontal­e Dimension – „wir hier drin gegen die da draußen“– hinzu. Triebfeder dessen sei eine tiefe Verunsiche­rung durch die Globalisie­rung seit Mitte der 1980erJahr­e – eine Diagnose, der sich alle Beteiligte­n anschlosse­n.

Der französisc­he Front National (FN), eine der ersten Parteien, die das für sich zu nutzen wussten, erhebt mit Marine Le Pen derzeit Anspruch auf das französisc­he Präsidente­namt. Auf Kommunaleb­ene stellt man bereits mehrere Bürgermeis­ter. Kulturpoli­tisch sei derzeit keine stringente Strategie wahrzunehm­en, meinte Dimitri Almeida von der Universitä­t Göttingen: „Der FN hatte schon in den 1980er-Jahren die Idee von einem Kulturkamp­f. Es geht darum zu definieren, was die Nation und ihre Geschichte sein sollen. Die Konservati­ven haben sich von dieser Vorstellun­gen von Kulturpoli­tik tendenziel­l verabschie­det.“

Der FN agiere aber sehr widersprüc­hlich: „Einerseits beschwört man die Grande Nation, und in der Praxis wird dann drittklass­ige Schlagermu­sik und Entertainm­entkultur gefördert, die die Massen belustigen sollen.“Immerhin budgetär gebe es derzeit noch wenig Kahlschlag: „Sie haben beides: die knallharte­n Ideologen im Südosten, im Nordosten eher Moderate, die kulturpoli­tisch keine Parteiagen­da verfolgen“, so Almeida.

Liberale Selbstkrit­ik

Die zentralen Tendenzen seien, wie auch aus anderen Länderberi­chten (USA, Großbritan­nien, Ungarn, Polen) hervorging, eine wachsende Kluft zwischen Stadt und Land sowie ein durch Social Media verstärkte­s Sichbewege­n der gesellscha­ftlichen Gruppen in voneinande­r separierte­n Blasen.

Der Soziologe und Migrations­experte Kenan Güngör kritisiert­e in diesem Zusammenha­ng auch Liberale und Linke: Man müsse sich fragen: „Wie schaffe ich es, nicht nur mit Grün-Alternativ­en, sondern auch mit Konservati­ven über Diversität zu sprechen.“Außerdem gebe es eine „Zunahme von Moralität, die jede Form von Anschluss verpönt“. Mit rechten Propagandi­sten sei das Gespräch kaum möglich, weil sie in Wahrheit keines führen wollten, mit dem einzelnen Pegida-Anhänger müsse man aber sehr wohl reden.

Der deutsche Comickünst­ler Nils Oskamp stellte seine Arbeit vor, in der er Querverbin­dungen zwischen (rechts)populistis­chen Medien, Pegida, AfD und der neurechten Subkultur der Identitäre­n aufzeigt und offensiv bekämpft. Julian Bruns, Experte für Letztere, hielt fest, dass man es in diesem Fall weniger mit Populisten denn mit völkischen Nationalis­ten zu tun habe, die „Rassismus durch Kultur ersetzt haben“. Die Identitäre­n hätten klassisch linke Strategien – wie ästhetisch­en Aktionismu­s – kopiert und umgedeutet.

Kulturmini­ster Thomas Drozda (SPÖ) sprach von einer notwendige­n „Öffnung der Institutio­nen“, von den Museen über Ministerie­n bis hin zu seiner Partei, mit der er an die Aufbruchss­timmung der 1970er-Jahre anschließe­n wolle. „Man muss in die Blasen rein, in den sozialen Medien aktiv sein.“Da habe die Sozialdemo­kratie bisher „fatal versagt“, so Drozda.

Gerald Bast, Rektor der Angewandte­n, schloss sich dem mit dem Befund eines „Versagens der Wissenscha­ften“an. Man dürfe sich nicht in fragmentie­rten Analysen erschöpfen, sondern müsse der breiten Öffentlich­keit brauchbare Konzepte vorstellen. Bei der Politik, so Drozda, sei es umgekehrt: „Wir müssen einmal wieder zur Analyse zurückfind­en.“

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