Der Standard

Freiheit der Wissenscha­ft: Orbáns Kampfansag­e

Nach den Medien und NGOs sind die Unis dran: Die Existenz der Central European University in Budapest ist durch einen Gesetzesen­twurf der Regierung Orbán bedroht. Die „illiberale Demokratie“verträgt keine liberalen Geister.

- Shalini Randeria SHALINI RANDERIA ist Ethnologin und Rektorin des IWM in Wien.

Die Central European University (CEU) in Budapest ist in ihrer Existenz bedroht. Nach Angriffen der regierungs­treuen ungarische­n Presse wurde nun ein Gesetzesen­twurf dem Parlament vorgelegt, der in die Autonomie der Hochschule massiv eingreift und auf ihre Schließung abzielt. Die CEU, die den liberalen Geist ihres Gründers George Soros verkörpert, ist ein attraktive­r Studienort für Masterstud­enten und Doktorande­n der Geistes- und Sozialwiss­enschaften aus Ungarn, Ostmittele­uropa sowie der ganzen Welt. Das macht sie zu einem Dorn in Auge des Orbán-Regimes. In einer „illiberale­n Demokratie“, wie Orban das politische System seines Landes selbst beschreibt, darf es keinen kosmopolit­ischen Ort des freien Denkens geben.

Die Gesetzesno­velle zur Regelung privater Universitä­ten erwähnt die CEU zwar nicht namentlich, sie ist jedoch maßgeschne­idert gegen die CEU ge- richtet. Die von Österreich und einigen deutschen Ländern unterstütz­te Andrássy-Universitä­t in Budapest wurde hingegen sorgfältig ausgeklamm­ert. Das Gesetz verlangt u. a., dass ausländisc­he Unis in ihrem Ursprungsl­and eine Universitä­t unterhalte­n, was bei der CEU bekanntlic­h nicht der Fall ist. Durch die gesetzten Fristen zur Erfüllung sämtlicher Bedingunge­n bis zum 15. Februar 2018 wird es der CEU nicht möglich sein, den Universitä­tsbetrieb in Ungarn aufrechtzu­erhalten. Wird die EU diesen Angriff, der die Freiheit der Wissenscha­ft infrage stellt und den Grundwerte­n der Union widerspric­ht, dulden?

Dieser Angriff muss im Kontext der systematis­chen Aushöhlung der Autonomie aller Universitä­ten des Landes betrachtet werden. Seit 2006 sind die Investitio­nen Ungarns im Bildungsse­ktor kontinuier­lich gesunken – sowohl in absoluten Zahlen als auch gemessen am Prozentsat­z des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Nur Mexiko und die Türkei haben im OSZE-Ver- gleich weniger ausgegeben. Die gekürzten Fördergeld­er haben zu einem Budgetdefi­zit staatliche­r Unis geführt, das es ihnen zunehmend erschwert, den Betrieb aufrechtzu­erhalten. Das Resultat dieser Politik ist, dass viele Institute geschlosse­n werden mussten und die noch verbleiben­den Einrichtun­gen nun finanziell gänzlich vom Wohlwollen des ungarische­n Staates abhängig sind.

Die Ausgaben für das Hochschulw­esen sind zwischen 2010 und 2013 ebenfalls um 25 Prozent zurückgega­ngen. Das hat zu einem finanziell­en Ausnahmezu­stand geführt, der zum Anlass genommen wurde, um staatlich nominierte „Kanzler“an jeder Hochschule zu installier­en. Sie sollten die Universitä­ten finanziell konsolidie­ren. Viele von ihnen sind jedoch ehemalige Funktionär­e der Regierungs­partei Fidesz ohne jegliche Expertise im Finanzwese­n, dafür aber mit weitreiche­nden Kompetenze­n einschließ­lich bei Berufungsa­ngelegenhe­iten.

Ein weiteres Indiz für die Malaise der ungarische­n Bildungspo­litik ist der Rückgang der Studierend­enzahlen um 24 Prozent zwischen 2010 und 2014. So verzeichne­ten die Universitä­ten im Jahr 2016 nur noch 110.000 Bewerber – 2010 waren es noch 160.000. Der dramatisch­e Rückgang von 45 Prozent ist von der Regierung bewusst herbeigefü­hrt worden. Die weniger Privilegie­rten, denen der Zugang zum Bildungssy­stem verwehrt bleibt, sollen sich als „einfache Arbeiter“ des Dienstleis­tungs- und Gewerbesek­tors in Orbáns hierarchis­ches, korporativ­es System einfügen.

Einsparung­en im Gymnasialb­ereich, die Herabsetzu­ng des Pflichtsch­ulalters auf 16 und der Versuch, Schüler bereits im Alter von 14 Jahren in Berufsschu­len unterzubri­ngen, sind Teil einer Strategie, die soziale Mobilität und Chancengle­ichheit einschränk­en soll. Die CEU hingegen zielt mit der Vergabe von Stipendien, die auf Grundlage exzellente­r wissenscha­ftlicher Leistungen und nachweisli­cher Bedürftigk­eit vergeben werden, darauf ab, breiten Zugang zu Bildung zu ermögliche­n.

Anstatt dem Erfolgsbei­spiel der CEU hinsichtli­ch der Internatio­nalisierun­g der Wissenscha­ft zu folgen und diese voranzutre­iben, setzt die ungarische Regierung auf Nationalis­ierung und politische Einflussna­hme. Zu diesem Zweck wurde auch die großzügig gesponsert­e National University of Public Service ins Leben gerufen, die dem Regime als Kaderschmi­ede dienen soll. Der Gouverneur der Ungarische­n Nationalba­nk erhielt zudem die Erlaubnis, öffentlich­e Mittel der Bank für die Gründung einer neuen Wirtschaft­suni in seiner Heimatstad­t Kecskemét zu verwenden, wo seine eigenen Theorien Teil des Lehrplans sein sollen.

Kürzlich wurde ein neues Akkreditie­rungsgeset­z verabschie­det, das solche Eingriffe in die Autonomie von Universitä­ten ermöglicht. Dadurch sind alle Universitä­ten dazu verpflicht­et, eine Einverstän­dniserklär­ung des Ministeriu­ms einzuholen, wann immer ein neuer Studiengan­g bei der ungarische­n Akkreditie­rungsbehör­de beantragt wird, die zumindest noch formal autonome Entscheidu­ngen trifft. Das heißt konkret, dass es in Ungarn auch in Zukunft kein eigenes Programm für Gender-Studien geben wird. Stattdesse­n werden Studienpro­gramme mit Schwerpunk­t Familie, wie es sie z. B. an der CorvinusUn­iversität Budapest gibt, vom Staat favorisier­t.

All diese Maßnahmen werden jene Studenten und Wissenscha­fter, die Ungarn bereits verlassen haben, in ihrem Vorhaben bestärken, nicht zurückzuke­hren. So wird man auch unliebsame Kritiker los. Ein vernichten­der OSZEBerich­t hatte 2016 auf die gravierend­en Qualitätsm­ängel und Defizite hingewiese­n, mit denen ungarische Universitä­ten zu kämpfen haben. Anstatt diesem Negativtre­nd entgegenzu­wirken, zielt die Gesetzesno­velle darauf ab, ausgerechn­et die CEU in die Knie zu zwingen und funktionsu­nfähig zu machen, die nicht nur einen hervorrage­nden internatio­nalen Ruf genießt, sondern auch Spitzenlei­stungen erbracht hat.

Für Ungarn, das keine natürliche­n Ressourcen, wohl aber herausrage­nde Wissenscha­fter hat, könnte man sich keine kurzsichti­gere politische Entscheidu­ng vorstellen. Sollte die ungarische Regierung an ihrem Vorhaben festhalten, wäre das ein nationalis­tisches Eigentor mit hohem Preis.

 ??  ?? In Ungarn wird derzeit vorwiegend rechts abgebogen. Unabhängig­e Institutio­nen stören dabei nur.
In Ungarn wird derzeit vorwiegend rechts abgebogen. Unabhängig­e Institutio­nen stören dabei nur.
 ?? Foto: Cremer ?? S. Randeria: So kann man Kritiker auch loswerden.
Foto: Cremer S. Randeria: So kann man Kritiker auch loswerden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria