LESERSTIMME
Schweigen ist keine Option
Betrifft: „Brillanz und Fadesse: Dudamel im Musikverein“von Daniel Ender der Standard, 28. 3. 2017 Anlässlich des Konzertes des SimónBolívar-Orchesters im Musikverein, dem ich schweren Herzens fernblieb, möchte ich Folgendes anmerken:
Das Simón-Bolívar-Orchester ist seit Jahren das Aushängeschild des weltbekannten, musik- und sozialpädagogischen venezolanischen Projektes „El Sistema“, welches auch den – zu Recht – nicht minder bekannten Dirigenten Gustavo Dudamel hervor gebracht hat. Als österreichischer Musikfreund mit venezolanischen Wurzeln habe ich dieses Projekt immer geschätzt, bewundert und auch gefördert.
Dessen ungeachtet bin ich heute der Meinung, dass dieses „Sistema“und insbesondere seine Aushängeschilder seit Jahren von der Regierung zu Propagandazwe- cken missbraucht werden. Eine Regierung, die seit Hugo Chávez – einst ein Militärputschist gegen eine demokratisch legitimierte Regierung – und nach seinem Tod von Nicolás Maduro diese sozialpädagogische Errungenschaft zu Propagandazwecken verwendet. Eine Regierung, welche die verfassungsmäßig verankerten demokratischen Rechte und Spielregeln widerrechtlich umgeht, um sich an der Macht zu halten! Eine Regierung, die das Land ins Chaos geführt hat! Das „Sistema“soll aber gerade im Ausland von den eigentlichen Problemen des Landes ablenken und eine heile Welt im wahrsten Sinne des Wortes vorspielen.
Tatsache ist, dass in Venezuela, dem Land mit den weltweit größten Ölreserven, nicht genügend Nahrungsmittel, nicht genügend Arzneien und seit kurzem auch nicht genügend Benzin vorhanden sind. Letzteres wird über dunkle Kanäle in die benachbar- ten Länder geschmuggelt, wo ein Vielfaches für jeden Kanister lukriert werden kann. Dass diese dunklen Kanäle in Regierungshand sind, ist eine durchaus glaubwürdige Möglichkeit. Von der weltweit höchsten Kriminalität, Inflation etc. sei hier erst gar nicht die Rede!
Die Jugendlichen und Kinder des „Sistema“können nichts für die Lage in ihrer Heimat, sie leiden darunter ebenso wie die Mehrzahl der Bevölkerung.
Sie werden ausgebeutet, schlecht bezahlt, und wer kann, sucht eine Alternative im Ausland. Der Autor unterstützt monatlich einen solchen Musiker, damit dieser so halbwegs über die Runden kommt.
Und Gustavo Dudamel bezieht zu diesen Zuständen keine Stellung – er sei Musiker und kein Politiker! Aber Schweigen ist keine Option! Roberto Pollak-Aichelburg
1010 Wien