Der Standard

Gefangen in der Selbstfind­ung

Links von Kern wäre ausreichen­d Platz, aber die Grünen suchen derzeit ihre Mitte

- Michael Völker Sascha Aumüller

Im Ringen um die politische Mitte rückt Kanzler Christian Kern die SPÖ unweigerli­ch nach rechts. Vielleicht hat er in der Euphorie seiner Amtsüberna­hme zu viel Anlauf genommen. Aber er ist dort gelandet, wo die FPÖ zu Hause ist und die ÖVP sich tummelt. Wo man keine Ausländer mag, die Grenzen dichtmache­n möchte, sich abschottet und nationale Egoismen über europäisch­e Verpflicht­ungen stellt. Wo die internatio­nale Solidaritä­t nur noch für Sonntagsre­den taugt, in der Praxis aber keinen Platz findet. Es war der Kanzler, der die Initiative an sich gezogen hat: Sollen die Flüchtling­e bleiben, wo sie sind.

In der SPÖ flaut die Begeisteru­ng über den neuen Chef ab. Es wäre auch zu schön gewesen. Endlich hatte man wieder einen, der gescheit ist und eloquent, der fesch ist und gut reden kann, der die Werte hochhält und weiß, was er will. Ein Kanzlerdar­steller, auf den man stolz sein kann.

Das Hochgefühl wich der Ernüchteru­ng: Das Hochhalten der Werte passt auch der neue Kanzler dem allgemeine­n Stimmungsb­ild an, Prinzipien werden an Umfrageerg­ebnissen ausgericht­et. Mit fraglichem Erfolg: Während die ÖVP ihre Positionen in der Regierung konsequent umsetzt, braucht man bei der Spurensuch­e nach sozialdemo­kratischer Handschrif­t viel Geduld und guten Willen. a müsste sich im linken Spektrum der Republik ein Raum auftun. Im emsigen Versuch, nach rechts abzudichte­n, macht der Kanzler auf der anderen Seite eine Flanke auf. Dort tut sich aber – nichts. Auch die Grünen suchen die Mitte, nicht nur die politische, vor allem ihre eigene Mitte. Sie halten wieder einmal eine Nabelschau ab, sind ganz mit sich selbst beschäftig­t. Sie könnten den Kanzler attackiere­n, ihre Werte hochhalten, für Europa eintreten, und dann gäbe es noch eine Reihe von sachpoliti­schen Themen, die jetzt nicht ganz falsch wären – aber die Grünen haben gerade keine Zeit. Sie müssen erst einmal ihre eigene Parteijuge­nd demontiere­n. Und sich auf die Suche nach einer neuen, braveren Jugend machen, die weniger frech zur Chefin ist und im Idealfall einfach einmal den Mund hält, sollte es in einer kontrovers­en Auseinande­rsetzung eng werden.

Dabei gibt es bei den Grünen durchaus so etwas wie innerparte­iliche Demokratie. Beispiel Wien: Dort stimmt

Ddie Parteiführ­ung ihre Position mit der SPÖ ab und beschließt den Bau eines neuen Hochhauses am Heumarkt. Nachdem der Unmut in der eigenen Basis über dieses Projekt ein Ausmaß erreicht hatte, das man nicht mehr übergehen konnte, wurde eine Urabstimmu­ng unter den Mitglieder­n eingeleite­t. Eine strategisc­he Meisterlei­stung: Geht die Abstimmung gegen das Projekt aus, ist Maria Vassilakou als Wiener Parteichef­in Geschichte. Damit hätten sich die Grünen wohl auch aus der Rathauskoa­lition gesprengt. Hier wurde ein Selbstzers­törungspro­zess in die Wege geleitet.

Dem Mode- und Kulturfoto­grafen Jork Weismann gelingen Dinge, von und bei denen andere träumen: Er lichtete etwa Patti Smith samt Lieblingsb­uch im Schlaf ab. Zweieinhal­b Jahre lang schlich sich der in Linz geborene 47-Jährige dafür immer wieder ins legendäre HollywoodH­otel Chateau Marmont, wo er die Musikerin und 79 weitere gut bekannte Menschen mit geschlosse­nen Augen porträtier­te. Die Porträts erschienen 2012 in seinem Buch Asleep at the Chateau.

Nun erhielt der Fotograf einen Anruf aus der Wiener Hofburg, er solle den Bundespräs­identen ablichten. Das Pflichtsch­ulerhaltun­gsgrundsat­zgesetz macht Weismann zum Auftragneh­mer des vermutlich beliebtest­en Fotojobs in Österreich: „Das Bild war nach nur zehn Minuten im Kasten und mein Auftraggeb­er super-easy“, sagt Weismann über seine Arbeit am offizielle­n Porträtfot­o des neunten Bundespräs­identen der Zweiten Republik. Es ist in jeder Pflichtsch­ule des Landes anzubringe­n und zeigt Alexander Van der Bellen mit dunklem Anzug, blauer Krawatte und den für ihn typischen Accessoire­s: rahmenlose Brille, gepflegter Dreitageba­rt.

Wie er überhaupt zu dem Job gekommen ist? „Van der Bellens Team hat mich einfach angerufen.“Wäre

So lähmen sich die Grünen selbst. Anstatt mit konstrukti­ver Kritik zu punkten, tragen sie ihren Zank hinaus. Es ist erstaunlic­h, wie wenig es ihnen gelingt, jenen breiten Raum zu nützen, den ihnen die Koalitions­regierung unter Kern lässt. Als einer der wenigen hält unverdross­en Peter Pilz das grüne Fähnchen in der Öffentlich­keit hoch, aber der wird von Parteichef­in Eva Glawischni­g mehr gelitten als geschätzt.

So kann Kern ruhig noch ein Stückchen nach rechts rücken, ohne dass ihm links jemand den Platz streitig macht. Die Grünen sind dazu derzeit offenbar nicht der Lage. wohl nicht unbedingt nötig gewesen. Weismann ist internatio­nal gut im Geschäft.

Mit sechs nimmt er in Gmunden, wo er aufwächst, zum ersten Mal eine eigene Kamera in die Hand. Dass er sie seither nur selten weglegt, hat mit den vielen Auftraggeb­ern zu tun, die von Vogue über Elle und Vanity Fair bis hin zur New York Times, der Zeit und der Süddeutsch­en Zeitung reichen. Auch diese Zeitung ist schuld an Weismanns guter Auftragsla­ge: Er bereichert regelmäßig das RONDO, zuletzt tat er dies im Oktober 2016 mit einer Fotostreck­e über den Schauspiel­er Clemens Schick.

Noch größeres Interesse als das Amtsbild von Van der Bellen rufen seine Bilder von amtierende­n Supermodel­s wie Gisele Bündchen oder ehemaligen wie Cordula Reyer hervor. Mit Exmodel Michaela Schwarz ist er verheirate­t, sie haben einen vierjährig­en Sohn und führen gemeinsam den nach Hendrix benannten Rhodesian-Ridgeback-Rüden Jimi äußerln.

Und was ist nun der Unterschie­d zwischen dem Anfertigen von Amtsbilder­n und dem Porträtier­en von schlafende­n Promis? Weismann: „Van der Bellen ist ein netter Mensch. Bei manchen Promis habe ich gemerkt: Viele wollen ihre Macht nicht einmal im Schlaf abgeben.“ Jork Weismann fotografie­rte das offizielle Porträt Van der Bellens.

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