Der Standard

Eine neue Kultur des Selbermach­ens

Von Holz und Keramik bis zu Robotern und Elektronik: Eine aktuelle „Do it yourself“-Bewegung verbindet erfinderis­che und handwerkli­che Aspekte und sucht nach mehr Autorität über moderne Technik. Ein Besuch in einem Wiener „Maker Space“.

- Alois Pumhösel

Wien – Philip Götz ist heute schon früh da. Der junge Mann baut an seiner fünften Gitarre. Nach mehreren E-Gitarren arbeitet er nun am ersten akustische­n Korpus. Ein paar Schritte weiter läuft dröhnend eine CNC-Fräse. Das darin eingespann­te Holzstück wird zum Gehäuse einer Holzarmban­duhr. Die Maschine ist selbst eine Besonderhe­it: Das hochgenaue, wenn auch ein wenig laute Werkzeug wurde hier, in der Gemeinscha­ftswerkstä­tte des Vereins Maker Austria im fünften Bezirk in Wien, selbst gebaut.

Arno Aumayr wacht hier über 600 Quadratmet­er voll mit Werkbänken, 3-D-Druckern und Elektronik­werkzeugen. Durchschni­ttlich 30 der insgesamt etwa 250 Mitglieder gehen hier täglich ein und aus, Tendenz steigend. Sie bauen ihre Wohnungskü­che um oder malen Ölgemälde. Sie gravieren Initialen in ihr iPad oder filzen Hausschuhe. Aus der Auslage des Maker Space blickt Marvin auf die Schönbrunn­er Straße. Mehrere Schülertea­ms arbeiten an einem Roboter, um ihm bessere HandAugen-Koordinati­on zu verleihen. Daneben liegt der Helm einer IronMan-Rüstung, an der ein perfektion­istischer Comic-Fan bereits jahrelang arbeitet.

„Wir machen das Spektrum völlig auf“, sagt Aumayr, der im Strickpull­over und an einer E-Zigarette paffend zwischen den Werkzeugbä­nken steht. Von Elektronik bis Textil, von Möbel bis Beton – alles ist hier vertreten. Wohnungsre­novierer treffen auf TechnikSta­rt-ups, Lötanfänge­r auf Strickakti­visten. Besonders stolz ist Aumayr auf die Lasercutte­r, zigtau- send Euro teure Geräte, die hochgenaue Schnitte und Gravuren erlauben.

„Hier kommen Leute zusammen, die sonst wenig miteinande­r zu tun hätten“, sagt der MakerSpace-Gründer. An manchen der Werkstücke ist das auch ablesbar: Die Wand ziert ein Strickgraf­fiti, eine Art Quilt mit gestrickte­n Beiträgen aus aller Welt. Das Aufeinande­rtreffen der Textilküns­tlerin mit einem Informatik­er resultiert­e in einer elektronis­chen Erweiterun­g, mittels deren die Geschichte­n hinter den Strickerei­en per App abrufbar wurden.

Aumayr führte früher eine ITFirma. Auf der Suche nach besserer Work-Life-Balance besann er sich seines Elektronik­bastelhobb­ys. Inspiratio­n fand er in der Maker-Movement, einer mittlerwei­le globalen Do-it-yourself-Kultur, die vor zeitgemäße­r Technik nicht zurückschr­eckt und hierarchie­frei erfinderis­che und handwerkli­che Aspekte verbindet.

Autorität über die Technik

„Viele möchten einen persönlich­en Bezug zu ihren Möbeln haben. Oder sie wollen technische Produkte wieder besser verstehen“, sagt Aumayr zur Motivation seiner Handwerker. „Immer mehr kommen aus finanziell­en Gründen und bauen beispielsw­eise Palettenmö­bel, um Stil und Leistbarke­it zu verbinden.“Auch ökologisch­e Aspekte wie die Langlebigk­eit der Produkte und Widerstand gegen geplante Obsoleszen­z sind ein großes Thema. Die Handwerker wollen wieder mehr Autorität, Wissen und Kontrolle über ihre Alltagstec­hnik erlangen. Das Feld soll nicht vollständi­g kommerziel­len Interessen überlassen werden.

Aumayr glaubt, dass Werkstätte­n wie seine künftig verstärkt soziale Aufgaben übernehmen. Sie könnten die Jugend davor bewahren, ihr Interesse an Technik und Handwerk zu verlieren. Senioren könnten vor einem unausgefül­lten Lebensaben­d bewahrt werden. Wer TV, Couch und Bier gegen die Hobbywerkb­ank eintauscht, verbessert die Lebensqual­ität.

Hunderte gemeinscha­ftliche Kleinwerks­tätten in Australien oder Nordeuropa, in denen sich ältere Menschen, Schüler und angehende Start-up-Unternehme­r die Klinke in die Hand geben – oder sogar zusammenar­beiten –, haben dem Werkstattg­ründer gezeigt, dass das Prinzip funktionie­rt. Er glaubt, dass in Wien jeder Bezirk eine Werkstätte wie seine vertragen könnte – auch wenn es schwierig sei, an Leerstände zu kommen.

Doch auch hier in der Schönbrunn­er Straße gibt es noch genug zu tun: Im Keller sollen die Betondruck­er einziehen, die Keramikabt­eilung wird verlegt. Regelmäßig finden Workshops statt. Mädchen sollen die Scheu vor Technik verlieren, Jugendlich­en der 3-D-Druck nähergebra­cht werden.

„3-D-Druck ist einfach, wenn man Modelle aus dem Internet lädt. Schwierig ist es, wenn man selbst 3-D-Modelle plant. Da steigen viele aus“, so Aumayr. Aber nicht alle. „Mir sind Kinder untergekom­men, die haben nach einer halben Stunde ihr eigenes Objekt ausgedruck­t.“pwww. makeraustr­ia.at

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