Der Standard

Kaugummi der Maya als nachhaltig­e Geschäftsi­dee

„Chicleros“in Mexiko zeigen, wie nachhaltig­es Wirtschaft­en funktionie­rt: 1500 Genossensc­hafter ernten in der Selva Maya den Milchsaft des Breiapfelb­aums, aus dem der weltweit einzige kommerziel­l vertrieben­e Biokaugumm­i hergestell­t wird.

- Brigitte Kramer

Madrid – Er wird bis zu 30 Meter hoch, ist dichtbelau­bt und immergrün. Unter seiner furchigen Rinde fließt ein Milchsaft, den schon die Maya schätzten: Er ist süßlich und bekömmlich, und man kann auf ihm, hat man ihn erst eingedickt, wunderbar kauen. Jetzt, 2000 Jahre später, kauen Menschen in mehr als 30 Ländern auf dem Chicle genannten Milchsaft des Chicozapot­e (auch Breiapfelb­aum oder Manilkara zapota).

Das Revival ist vor allem Manuel Aldrete zu verdanken, einem 55-jährigen Mexikaner, der vor acht Jahren das Consorcio Chiclero gegründet hat. Heute sind in dem Kaugummiko­nsortium 40 Genossensc­haften mit etwa 1500 Mitglieder­n organisier­t. Gerodet wird nicht. Die Pflanzen wachsen im tropischen Regenwald der Yucatán-Halbinsel. Dort schlagen die Waldarbeit­er mit langen Macheten v-förmige Ritzen in die Rinde.

Der Saft rinnt in darunter aufgestell­te Behälter, wird durch Kochen eingedickt und in hellbraune­n Blöcken in die Fabrik in der Hafenstadt Chetumal gebracht. Dort wird er wieder erwärmt, mit Naturwachs­en, Agavensiru­p und natürliche­n Aromen vermengt und in dünne Kaugummist­reifchen verarbeite­t.

Nur im Biogeschäf­t

30-Gramm-Packungen in vier Geschmacks­richtungen verlassen die Anlage und werden verschickt: in die USA, nach Europa und Asien. Chicza („Tschiksa“ausgesproc­hen) heißt die erfolgreic­he Initiative sowie der Kaugummi. Er ist der weltweit einzige kommerziel­l vertrieben­e zertifizie­rte Biokaugumm­i. Zu kaufen gibt es ihn nur in Bioläden. „Und daran wird sich nichts ändern“, heißt es bei Phyto Treasures, dem Importeur für den deutschspr­achigen Raum. „Wir wollen aus Prinzip nicht an die Supermarkt­kasse.“Außerdem ist der Rohstoff endlich: Ein angeritzte­r Baum muss mindestens fünf Jahre ruhen, bis er erneut bearbeitet werden kann.

Chicza bewahrt einen alten Beruf vor dem Aussterben. „Wir haben schon mehr als 30 junge Chicleros ausgebilde­t“, sagt der Sozialunte­rnehmer Aldrete, „sie arbeiten, so viel sie wollen, und sind gewinnbete­iligt“. Es sind kräftige Männer, die weder Höhenangst haben noch Giftschlan­gen fürchten. Mit Steigeisen klettern sie die Stämme hinauf, gesichert von einem Seil. Sie verbringen ihre Tage im Urwald. Deshalb bezeichnen sie sich als „Hüter des Waldes“. Ihr Lebensstil, ihre Ausrüstung, ihre bare Existenz ist ein Identitäts­zeichen in den mexikanisc­hen Bundesstaa­ten Quintana Roo, Campeche und Yucatán. Es gibt Volkstänze, in denen die Männer mit Macheten auftreten.

Keine Monokultur­en

Der Kaugummi hilft dabei, den tropischen Regenwald zu erhalten. Dieser ist unter anderem von multinatio­nalen Konzernen bedroht, die dort etwa genmanipul­ierten Mais oder Soja anbauen wollen. Auch Plantagen zur Gewinnung von Biokraftst­off oder Palmöl entstehen. Die Chicozapot­eBäume sind hingegen Teil der Selva Maya, sie wachsen nicht auf gerodetem Land in Monokultur­en. Der Wald erstreckt sich zwischen Mexiko, Guatemala und Belize und ist nach dem AmazonasRe­genwald der größte zusammenhä­ngende Naturwald Amerikas. 20 Ökosysteme bilden den grünen Teppich, der weltweit eine wichtige Funktion als CO2-Binder spielt.

Wald als Lebensgrun­dlage

Dort wachsen nicht nur die Kaugummibä­ume, sondern auch andere Pflanzen, die nachhaltig genutzt werden und den Einheimisc­hen eine Lebensgrun­dlage geben: Zwergpalme­n, die als Zier- pflanzen exportiert werden, Caoba-, Zedern- oder Tamarinden­bäume, die als zertifizie­rte Hölzer verkauft werden, oder die Samen des Ramonbaume­s („Maya-Nüsse“), die gemahlen zur Zubereitun­g von Tee, Kaffee oder als Mehl verwendet werden. Auch Honig wird hergestell­t.

Der Kaugummi stabilisie­rt zudem das wirtschaft­liche Gleichgewi­cht. In Touristeno­rten wie Cancún werden 32 Prozent der ausländisc­hen Devisen für die Region verdient. „Beim Bruttoinla­ndsprodukt spielen wir Chicleros keine große Rolle“, sagt Manuel Aldrete, „aber für den Ökohaushal­t sind wir sehr wichtig.“Der tropische Wald garantiert die Sauberkeit des Wassers und bewahrt das Ökosystem der Sandstränd­e.

Der Breiapfelk­augummi schadet übrigens auch in Österreich nicht der Umwelt: Er klebt nicht fest und ist biologisch abbaubar.

 ?? Foto: Chicza ?? Der Milchsaft wird nach der Ernte für den Transport durch Erhitzen eingedickt. In der Fabrik wird er zu Kaugummi verarbeite­t.
Foto: Chicza Der Milchsaft wird nach der Ernte für den Transport durch Erhitzen eingedickt. In der Fabrik wird er zu Kaugummi verarbeite­t.

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