Der Standard

Alles gleichzeit­ig, aber nichts richtig gut

-

Wien – Während dieser Text entsteht, habe ich 17 Tabs geöffnet – zwei davon sind Twitter und Facebook, die ich immer wieder aktualisie­re –, bekomme sieben Mails, zehn Nachrichte­n auf Whatsapp, drei Anrufe, hole mir einen Kaffee, wechsle ständig Playlists auf Spotify und schaue zwischendu­rch immer wieder mal auf Instagram.

Was sich nach Chaos anhört, ist für viele zum Normalfall im Arbeitsall­tag geworden, aber auch in Studium und Ausbildung mittlerwei­le Realität. Geht es nach mittlerwei­le zig Studien, sollte das Multitaske­n aber besser nicht zur Angewohnhe­it werden. Denn: Das menschlich­e Gehirn ist nicht dafür ausgericht­et, mehrere Dinge gleichzeit­ig und vor allem gleich gut zu erledigen. Jede Facebook-Benachrich­tigung, jede kurzfristi­ge Störung verlangt im Grunde eine Entscheidu­ng: jetzt oder später antworten? Das kostet Energie, denn seit wir Mails, News, Fotoalben, Anrufe und Textnachri­chten in Form eines kleinen Computers ständig in unserer Hosentasch­e tragen, gibt es kaum Pausen für das Gehirn.

Mehr Stress und Fehler

Das hat mehrere Folgen, resultiert aber vor allem in einem Konzentrat­ions- und Leistungsv­erlust. Nachweisen konnten diesen zum Beispiel Forscher der Universitä­t in Utah: Die Versuchspe­rsonen saßen am Steuer eines Fahrsimula­tors und sollten währenddes­sen telefonier­en, in einem weiteren Versuch eine SMS schreiben. Das Ergebnis: Ihre Leistungsf­ähigkeit sank um mindestens 40 Prozent, die Stresswert­e erhöhten sich stark. Die Fehlerquot­e war ähnlich hoch wie sonst nur bei betrunkene­n Fahrern. Auch dass das bloße Wissen um eine neue Mail Stress verursacht, ist wissenscha­ftlich erwiesen, und ein britischer Forscher will sogar herausgefu­nden haben, dass Multitaski­ng den IQ senkt.

Wissenscha­fter der Universitä­t Sussex untersucht­en besonders eine Gehirnregi­on, in der Emotionen, Erinnerung­en und Lernprozes­se verarbeite­t werden. Würde man hier Verschlech­terungen bemerken, könne das besonders für die Karriere Nachteile bringen, heißt es in der Studie. Denn der betroffene Cortex (Gyrus cinguli) ist vereinfach­t gesagt der Sitz der emotionale­n Intelligen­z. Vorerst können die Forscher aber entwarnen: Direkte Nachweise für eine Schädigung der Gehirnstru­ktur wurden nicht gefunden. Aber der Studienaut­or warnt gegenüber dem Magazin Forbes: Es sei wichtig, darauf hinzuweise­n, dass die Art, wie wir mit Geräten umgehen, auch die Art, wie wir denken, verändere.

Alles gleichzeit­ig, aber nichts richtig. Was kann man dagegen tun? Alles radikal abzuschalt­en ist wahrschein­lich wenig praktikabe­l. Auch Dominik Batthyány, der an der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität das Institut für Verhaltens­süchte leitet, hält Entgiftung für den falschen Weg. „Ich glaube, sinnvoller wäre eine ‚digital awareness‘, also ein selbstbest­immter Umgang mit digitalen Geräten.“Er sei leider selbst schlecht darin, den Umgang mit Smartphone­s räumlich und zeitlich zu begrenzen, gibt er zu. Genau solche Strukturen seien aber wichtig. „Die Zurückgewi­nnung von Struktur ist in der Suchtthera­pie, ganz gleich, um welche Sucht es geht, essenziell. Das bedeutet: klare Nutzungsze­iten festsetzen.“

Gegenstrat­egie Singletask­ing

Ein weiterer Tipp: smartphone­freie Zeiten und Orte – etwa das gemeinsame Essen mit der Familie oder die Mittagspau­se, das Schlafzimm­er (stattdesse­n einfach einen Wecker zulegen) oder beim Sport. „Es klingt beinahe banal“, sagt Batthyány, „aber wir müssen üben, auch ohne Smartphone unterwegs zu sein.“

Wie das auf den Arbeitsall­tag umgemünzt aussehen kann, zeigen Strategien einiger Führungskr­äfte oder Gründer – vor allem im Silicon Valley gibt es ein großes Bekenntnis zum Singletask­ing. Das bedeutet zum Beispiel, statt mehreren Tabs im Browser nur noch eines geöffnet zu haben. So scrollt man zuerst durch Twitter, liest dann Artikel XY, wechselt später zu den Mails und sieht sich danach erst die fertigzust­ellende Präsentati­on durch. Ausführlic­he, bereits am Vorabend verfasste To-do-Listen sind ein weiterer Trick gegen das Multitaske­n, und auch ein gut sortierter und gefilterte­r Posteingan­g gehört dazu. Einige – zum Beispiel Whatchado-Gründer Ali Mahlodji – haben sogar „Öffnungsze­iten“für das Mail-Postfach.

Noch mehr Ansätze liefert das neue Buch des Neurowisse­nschafters Daniel J. Levitin: The Organized Mind. Thinking Straight in the Age of Informatio­n Overload. Auch er schreibt darin: Menschen, die ihre Zeit in einer Weise organisier­en, die ihnen erlaubt, sich auf eine Aufgabe zu konzentrie­ren, schaffen nicht nur mehr, sondern sind auch weniger müde und geistig weniger ausgelaugt.

 ??  ?? Wer viele Aufgaben zur gleichen Zeit erledigen will, muss mit Leistungsu­nd Konzentrat­ionseinbuß­en rechnen. Psychologe­n empfehlen vor allem in der digitalen Kommunikat­ion klare Grenzen zu setzen.
Wer viele Aufgaben zur gleichen Zeit erledigen will, muss mit Leistungsu­nd Konzentrat­ionseinbuß­en rechnen. Psychologe­n empfehlen vor allem in der digitalen Kommunikat­ion klare Grenzen zu setzen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria