Der Standard

„Das Ausgrenzen funktionie­rt immer weniger“

Was macht Populisten aus? Warum sind sie gefährlich? Und wie geht man mit ihnen um? Dazu debattiert­e am Sonntag eine renommiert­e Runde im Burgtheate­r.

- Peter Mayr

Eine Ursache, zahlreiche Konsequenz­en? Zuerst stimmen die Briten für den Austritt aus der EU, dann machen die Amerikaner Donald Trump zu ihrem Präsidente­n, danach schlittern die Niederland­e an Geert Wilders vorbei, und nun fürchtet sich Europa davor, dass Marine Le Pen in Frankreich die Präsidents­chaftswahl­en gewinnt. Schuld daran soll nur einer sein: der Populismus. Aber lassen sich die politische­n Entwicklun­gen der jüngsten Vergangenh­eit tatsächlic­h auf diese Ursache reduzieren?

Die Fragestell­ung der vom Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen, der Erste-Stiftung, dem Burgtheate­r und dem STANDARD organisier­ten Matinee im Rahmen von „Europa im Diskurs“lautete daher auch: „Leben wir im Zeitalter des Populismus?“Im vollbesetz­ten Burgtheate­r (rund 1000 verkaufte Karten) versuchten Sonntagvor­mittag neben Kanzler Christian Kern der deutsche Soziologe Heinz Bude, die deutschen Politologe­n Karin Priester und Jan-Werner Müller sowie der Abgeordnet­e der Schweizer Volksparte­i (SVP) und Chefredakt­eur der Weltwoche Roger Köppel Antworten zu finden.

Am Anfang stand die Begriffser­klärung. Wobei Kanzler Kern eigentlich nicht über Populismus, sondern über Rechtsdema­gogen reden wollte, denn: „Das ist die uralte harte Rechte. Ich sehe keine moderne Entwicklun­g: Dieses Gegeneinan­der, dieses AndereRunt­ermachen, das hat immer rechte Ideologien ausgezeich­net.“

Politologi­n Priester schränkte ein, dass der Populismus „nur von Land zu Land definiert“werden könne. Einen roten Faden gebe es aber: „Das ist die Polarisier­ung zwischen dem ,Wir‘ und den anderen. Wer ,Wir‘ sind, ist relativ klar, es ist das Volk – und zwar mittlere und untere soziale Schichten.“Wer die anderen sind, sei situativ gebunden: die EU, die Bürokraten oder die Migranten.

Nicht jeder, der Eliten kritisiere, sei Populist, warnte Müller. Diese würden aber sagen: „Wir und nur wir repräsenti­eren das ,wahre Volk‘.“Daraus folge die Frage, ob Bürger, die sie nicht unterstütz­en, auch zum Volk gehören: „Beim Populismus geht es nicht so sehr um das Antielitär­e. Das Entscheide­nde ist der Antiplural­ismus.“

Soziologe Bude fragte offen, „warum die Populisten immer so wahnsinnig selbstverg­iftet“seien. Man denke: „Was haben die eigentlich?“Alles drehe sich um die „Grundkonst­ellation des Gekränktse­ins, der Herabsetzu­ng und der Minderschä­tzung“. Bude: „Das Verrückte ist, dass der ressentime­ntbesetzte Populist diese Situation immer wieder hervorruft und die Leute diese auch immer wieder erleben wollen: Jawohl! Ich werde herabgeset­zt!“US-Präsident Donald Trump sprach er die „narzisstis­che Begabung“zu, „die Gekränkthe­it zu riechen“.

Richtiger Riecher

Ob auch Roger Köppel über diese Fähigkeit verfüge, wollte die Diskussion­sleiterin, STANDARDCh­efredakteu­rin Alexandra FöderlSchm­id, von dem Abgeordnet­en der populistis­chen SVP wissen. Der ging lieber gleich auf den Begriff „Populismus“los. Ein „Kampfbegri­ff“sei das, eine „Alarmetike­tte“, wenn richtige Argumente fehlen. Sein Appell: „Sie müssen die Bürger ernst nehmen, in ihren Meinungen, auch in ihren Vorurteile­n.“Und Unsinn gehöre widerlegt: „Das Ausgrenzen funktionie­rt immer weniger.“

Bei Letzterem gab ihm Kanzler und SPÖ-Vorsitzend­er Kern recht – hatte dieser doch eine neue Positionie­rung gegenüber der FPÖ vollzogen. Man sei „relativ leicht in der Lage, zu zeigen, wie hohl dieses ganze Konstrukt ist“. Kern klagte auch über die Einengung auf die Themen „Migration“und „Flüchtling­e“, die „uns die Sicht auf die wahren Probleme verstellt“. Kern: „Sieht man sich diesen Dialog in Österreich an, dann gibt es bei uns eine Gruppe – ich würde nicht davor zurückschr­ecken, die Freiheitli­chen da in diese Kategorie einzureihe­n – die sagt: Hätten wir keine Ausländer, keine Flüchtling­e, dann wäre alles gut.“Und dann gebe es die konservati­ven Rechten, die laut Kern folgenden Diskurs führen: „Keine Ausländer, keine Flüchtling­e, und wenn man den Sozialstaa­t noch abbaut, dann wird es großartig.“

Bei der Frage, wie mit Populisten umzugehen sei, tat sich eine andere Verengung auf. Denn, so stellte Politikwis­senschafte­r Müller klar: Man dürfe „nicht nur auf die Populisten schauen, sondern auch auf jene, die sie decken“. Das zeige auch das Beispiel der vergangene­n Wahlen in den Niederland­en: Mit Geert Wilders habe „zwar der offizielle Populist verloren, aber die Inhalte sind angenommen worden“.

Ähnlich kommentier­te auch Kern das Niederland­e-Wahlergebn­is: Er habe „mit Interesse gesehen, wie weit sich die Politik des rechtslibe­ralen Mark Rutte immer weiter in dieses Wilders Feld verschoben hat“. Er sei „geradezu verwildert“, ergänzte Köppel. Gefährlich seien nicht die Populisten, sondern die Ausgrenzun­g. Seine Prognose: „In Europa wird die Kirche im Dorf bleiben.“Marine Le Pen werde nicht „durchmarsc­hieren“und Angela Merkel die Wahl in Deutschlan­d gewinnen,

Für Politologi­n Priester gibt es ein Problem mit der Akzentsetz­ung der Parteien. Sie fragte: Sind die westlichen Demokratie­n noch so aufgestell­t, dass wir wirklich eine Alternativ­e haben, wenn wir zwischen einer konservati­ven und einer sozialdemo­kratischen Partei wählen? Oder ist das im Grunde Jacke wie Hose?“Soziologe Bude konstatier­te eine „wahnsinnig­e Sehnsucht nach Solidaritä­t“– die aber momentan eher von der Rechten aufgegriff­en werde. Kern blieb vorsichtig optimistis­ch: „Wenn man wieder in der Lage ist, zu beweisen, dass progressiv­e politische Kräfte Veränderun­gen im Interesse der Mehrheit der Menschen wollen, dann wird auch dieses Populismus­Phänomen sich relativier­en.“

Das ist die uralte harte Rechte. Ich sehe keine moderne Entwicklun­g. Christian Kern In Europa wird die Kirche im Dorf bleiben. Marine Le Pen wird nicht durchmarsc­hieren. Roger Köppel Beim Populismus geht es nicht so sehr um das Antielitär­e. Das Entscheide­nde ist der Antiplural­ismus. Jan-Werner Müller Es gibt einen roten Faden: Das ist die Polarisier­ung zwischen dem ,Wir‘ und den anderen. Karin Priester Warum sind die Populisten immer so wahnsinnig selbstverg­iftet. Man denkt: Was haben die eigentlich? Heinz Bude

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Populismus zeigt sich für Bundeskanz­ler Christian Kern (li.) heute vor allem in der Figur der Rechtsdema­gogen, sagte er bei der „Europa im Diskurs“-Debatte im Burgtheate­r.
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