Der Standard

Generation mit feinen Sensoren

Spielfilme junger Filmschaff­ender gaben auf der Diagonale den Ton an. Einer ist Lukas Valenta Rinner, der für seine Gesellscha­ftsparabel mit Nudisten, „Die Liebhaberi­n“, den Hauptpreis erhielt. Auch in anderen Sektionen gab es Nacktheite­n zu sehen.

- Dominik Kamalzadeh Michael Pekler

Graz – Ein Jubiläum kann man mit Altbewährt­em feiern. Oder man nimmt es zum Anlass, einen Blick in die Kristallku­gel zu werfen. Die Grazer Diagonale, deren 20. Ausgabe am Sonntag zu Ende ging, hatte von beiden Varianten etwas zu bieten. Selbstbewu­sst präsentier­te sie sich als etablierte­r Ort der Begegnung mit vielfältig­em Filmschaff­en – Keine Angst, Hansi Langs 80er-Jahre-Popappell an alle Hasenfüße da draußen, wurde von den beiden Festivalle­itern Sebastian Höglinger und Peter Schernhube­r schon zur Eröffnungs­rede zugespielt.

Sucht man in der fünftägige­n Leistungss­chau nach einem Trend, dann waren es die Arbeiten junger Filmemache­r, die mit frischer Sensibilit­ät und Lust an neuen Erzählweis­en den stärksten Nachhall erzeugten. Einer davon, Lukas Valenta Rinner, wurde für seine lakonische Gesellscha­ftsparabel Die Liebhaberi­n (Los Decentes) durchaus überrasche­nd mit dem Preis für den besten Spielfilm ausgezeich­net.

Dass der Salzburger Regisseur in Spanien und Argentinie­n ausgebilde­t wurde, hat auch in seinem Film Spuren hinterlass­en. Unbeirrt, umstandslo­s und ohne viel Worte begleitet er die Haushaltsh­ilfe Belén an ihren neuen Arbeitspla­tz in einem schicken Villenvier­tel. Sie putzt und kocht – und beobachtet die emsige Leere der anderen.

Befreite Körper

Doch so passiv und scheu, wie Belén auf den ersten Blick wirkt, ist sie gar nicht. Als sie einen Nackten in der Nachbarsch­aft ins Auto steigen sieht, ist ihre Neugierde geweckt. Die stille Angestellt­e wird zum Mitglied dieser Nudistenge­meinde. Deren Kampf um die Befreiung des Körpers durch Liebe ist der Welt des Wohlstands zwar entgegenge­setzt, aber ähnlich reglementi­ert.

Die Liebhaberi­n wird so zu einer stoisch erzählten Studie der Entgrenzun­g. Rinners Blick darauf hat eine Buñuel’sche Note, mit gutem Rhythmusge­fühl gleicht er die Parallelwe­lten ab und treibt sie schließlic­h in die Eskalation.

Doch die neue Generation hat viele Stimmen. Monja Arts Sieb- zehn ist eine Teenagerst­udie unter Mädchen auf dem Land, die mit spleenigen Beobachtun­gen überrascht. Adrian Goiginger rekonstrui­ert in seinem bereits auf der Berlinale prämierten Film Die beste aller Welten die eigene Kindheit mit seiner drogenabhä­ngigen Mutter – ein sehr stimmig inszeniert­er Film über wechselnde Gefühlslag­en.

Auch Jury Rechinsky hat nach seinem Dokumentar­film Sickfuckpe­ople mit Ugly ein kompromiss­loses Spielfilmd­ebüt vorgelegt. Der Ukrainer verknüpft Erzählunge­n über zwei Paare als eine einzige gewaltvoll­e Momentaufn­ahme. Nach einem Autounfall liegt die Tochter (Angela Gregovic) in einem ukrainisch­en Krankenhau­s, während die Mutter (Maria Hofstätter) in Wien bei einem Fest über ihre Alzheimere­rkrankung hinwegtäus­cht.

Rechinsky erzählt aber hier wie dort keine Leidensges­chichte, sondern hält mit jeder Einstellun­g der Welt ihr Elend entgegen. Ugly ist ein Film, auf dessen Radikali- tät man sich einlassen muss, belohnt wird man mit ungeheuerl­ichen Bildern wie jenem, in dem ein apokalypti­scher Sturm über ein Getreidefe­ld hereinbric­ht.

In guter Form präsentier­te sich auch der Dokumentar­film ( Der Standard berichtete), Ivette Löcker erhielt für ihr so eindringli­ches wie ambivalent­es Elternport­rät Was uns bindet den Hauptpreis. Die beste Dankesrede gab am Samstagabe­nd Katrina Daschner, die mit dem Preis für Innovative­s Kino ausgezeich­net wurde: Sie habe ihren Film auch sehr gern, „weil so viele Busen und Pferde vorkommen“.

Wundersame Fetischwel­t

Tatsächlic­h ist Pferdebuse­n ein Film, der durch seine Detailansi­chten tierischer wie menschlich­er Körperteil­e, das Abtasten von Oberfläche­n und Pferdetrab auf der Tonebene sinnlich zu irritieren vermag. Daschner betont das Bühnenhaft­e der Situation, führt in eine wundersame Fetischwel­t mit nackten Hintern auf Ledersatte­ln, verklebten Gesichtern, einer Vagina dentata – und setzt das alles mit großer Sorgfalt ins Bild.

Die Rücken- und Kristallar­rangements von Antoinette Zwirchmayr sah man auf der Diagonale am öftesten, denn sie entstammte­n ihrem nach dem Philosophe­n Jean-Luc Nancy benannten mysteriöse­n Trailer. In Venus Delta zeigt sie eine Bachidylle, in der fast alles stillsteht, bis sich plötzlich ein Haar im Wind kräuselt oder Bälle sanft davontreib­en. Die Schönheit des Kinos lässt sich auf kleinste Einheiten zurückschr­auben.

Lukas Marxt und Marcel Odenbach umkreisen in ihrem Landschaft­sfilm Fishing is not done on Tuesdays ein auf Betonstelz­en errichtete­s Haus an der Küste Ghanas und seine nähere Umgebung: Dschungel, Strand, diverse Farben und Blickachse­n bilden eine verstörend­e Ton-Bild-Collage, deren einzelne Teile sich erst am Ende – wie bei einem Festival – zu einem Ganzen fügen.

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Gegenwelt mit Badeplatz: Lukas Valenta Rinners „Die Liebhaberi­n“spielt (auch) unter Nudisten.

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