Der Stoff, aus dem das Blei der Schuhe ist
Zur feierlichen Wiedereröffnung des Linzer Schauspiels hat sich Sprechtheaterchef Stephan Suschke ausgerechnet Shakespeares rätselhaften „Sturm“ausgesucht: ein Besuch im Theatermuseum.
Linz – Elf Monate dauerte der Umbau des Schauspielhauses an der Linzer Promenade. Für die feierliche Wiedereröffnung hat man – nicht ganz zufällig – den rätselhaftesten aller Inselbesitzer auf die Bühne gebeten. Herzog Prospero regiert in Shakespeares Alterswerk Der Sturm ein unwirtliches Eiland. Als gestürzter Fürst wird er von Rachegelüsten geplagt. Sein Migrationshintergrund schließt das gestürzte Weltbild der Renaissance ein. Als Kolonisator hält sich der Gekränkte aber an der indigenen Bevölkerung schadlos. Luftgeister und Hexenkinder sind ihm untertan; das eigene Töchterchen versteckt er eifersüchtig vor der Welt.
Nun bildet auch das runderneuerte Schauspielhaus eine sturmumtoste Insel im Linzer Häusermeer. Sein Chef Stephan Suschke, ein gestandener Heiner-MüllerMitarbeiter, wühlt als SturmRegisseur noch einmal in den Schätzen der Überlieferung. Tiertrophäen schmücken das Portal (Ausstattung: Momme Röhrbein). Im Bücherbord des Inselautokraten weisen Accessoires wie ein vergoldetes Widderhorn auf das schwarz-alchemistische Erbe seines Wissenserwerbs hin.
Wolken bauschen sich, dem Beamer sei Dank, am Vorhang. Ein Kinderstimmchen verkündigt selig das Credo des schiffbrüchigen Gonsalo aus dem zweiten Akt: Nur im Naturzustand der Erde seien die Glücks- und Konsumgüter im Überfluss vorhanden. Shakespeare, ein von Illusionen heimgesuchter Urkommunist?
Prospero (Vasilij Sotke) thront mit der Miene eines RaimundFeenkönigs missgelaunt im Ohrensessel. Sein Felsennest ist ein nach vorn gekippter Tennenboden. Über diesem brütet die Dunkelheit. Brecht-Epik, Aufklärung, Sturm und Drang: Sie alle sind völlig folgenlos an dieser desaströsen Regie-Unternehmung vorübergezogen.
Hier, in Linzens prächtig aufgebrezeltem Schauspielinstitut, huldigt man noch der Logik von Spiel- und Standbein. Die an Land gespülten Fürsten Neapels und Mailands? In Samt eingeschlagene Schufte. Beim geringsten Wetterleuchten oder Stimmungsumschwung reißen sie die Dolche aus den Gürteln. Den braven Gonsalo (Eva-Maria Aichner), das geschwätzige gute Gewissen einer verrotteten Gesellschaft, hat man hübsch als alten Bob Dylan zurechtgemacht.
Verschminkt
Wohl und Wehe jedes Sturms aber hängt ab von der Beschaffenheit der Geister. Ariel (Alexander Julian Meile) gemahnt an einen verschminkten Ballettdirektor. Caliban (Julian Sigl) gleicht einem Black-Metal-Musiker aus dem bekannt sonnigen Norwegen. Sie alle finden keinen gemeinsamen Ton, dabei böte B. K. Tragelehns umrissscharfe Übersetzung die besten Voraussetzungen. Die Rüpelszenen mit Trinculo (Björn Büchner) und Stephano (Jan Nikolaus Cerha)? Sind sozusagen mit bleiernen Schuhen getanzt.
Nun endet Der Sturm bekanntlich in einer Apotheose des verzeihenden Abschiednehmens. Prosperos havarierte Feinde durch- laufen mit der Geister Hilfe ein moralpädagogisches Sofortprogramm. Der aus Mailand gebürtige Inselfürst vergibt, doch er vergisst nicht. In Linz, wo man zwischendurch schöne Gedichtbrocken von Heiner Müller und W. H. Auden vorgekaut bekommen hat, stehen sich die kostümierten Herren in sichtbarer Verlegenheit die Füße in den Bauch. Keiner weiß hier einen Ausweg. Am wenigsten der Regisseur. Sollten wir, Shakespeare zufolge, wirklich vom Stoff sein, aus dem die Träume sind, zeugte der schüttere Schlussapplaus von der Ernüchterung, die dem Wachzustand geziemt.