Der Standard

Fake-News auf Polnisch

Der Wien-Besuch des polnischen Publiziste­n und Chefredakt­eurs der Zeitung „Gazeta Wyborcza“, Adam Michnik, löste in dessen Heimat wütende Reaktionen aus. Mit der Wahrheit nehmen es die polnischen Medien dabei nicht so genau.

- Martin Pollack

Vorige Woche war der polnische Publizist und Essayist, Begründer und Chefredakt­eur der linksliber­alen Tageszeitu­ng Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, kurz in Wien, um im Rahmen der Reihe Grenzgänge­r/Grenzdenke­r des Burgtheate­rs über Polen und Europa zu diskutiere­n. Es war mir eine Ehre, die Diskussion im Kasino am Schwarzenb­ergplatz führen zu dürfen.

Seine unverblümt­en Äußerungen über den starken Mann Polens, Jarosław Kaczyński, Chef der Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), und die von ihm straff gelenkte Regierung lösten in offizielle­n polnischen Medien umgehend wütende Reaktionen aus. Es erstaunt nicht, dass diese Berichte es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Fake-News auf Polnisch.

Michnik war nur für diesen einen Abend in Wien. Den offizielle­n Medien war das offenbar zu wenig. Einige, wie etwa das Info-Portal des offizielle­n Fernsehsen­ders TVP, berichtete­n von einer mehrtägige­n Tour, um bei „verschiede­nen Begegnunge­n“die Regierung und den allmächtig­en PiS-Chef zu „beleidigen und zu beschimpfe­n“– etwa indem er Kaczyński eine „Parodie Stalins“nannte.

Michnik sprach an dem Abend von den Ähnlichkei­ten, die das offiziell stramm antikommun­istische Regime mit der kommunisti­schen Propaganda aufweist – in Sprache und Stil, vor allem im Umgang mit den politische­n Gegnern. Wenn man die Medien liest und die Politiker hört, so Michnik, hat man ein Déjà-vu. Das klingt alles nur zu bekannt, die Argumente des allgewalti­gen Parteichef­s, der den Menschen im Brustton der Überzeugun­g einredet, dass Weiß Schwarz ist und umgekehrt.

Auch ich fühle mich beim Lesen der offizielle­n polnischen Medien an die 1960er- und 1970er-Jahre erinnert, als ich im kommunisti­schen Polen studierte. Dieselben Töne, derselbe Stil, dieselben Argumente. Ein Antikommun­ismus mit bolschewis­tischem Gesicht, wie Michnik es treffend nennt. Diese Sprache und Denkart verraten die offizielle­n Medien auch, wenn sie mich jetzt in den Berichten über Michnik „den Sohn eines blutigen Kriegsverb­rechers der SS“nennen, der sich zu einem Vorbild der Demokratie aufschwing­en möchte. Überrascht mich das? Die Sippenhaft­ung war ein fester Bestandtei­l des Stalinismu­s und auch des Nationalso­zialismus.

Dass man sich heute im offizielle­n Polen wieder dieser Methoden bedient, ist kein gutes Zeichen. Erdogan und Putin lassen grüßen. Michnik sprach denn auch von einer Putinisier­ung Polens, die Kaczyński und seine Leute, vielleicht unbeabsich­tigt, aber dafür umso effektiver, vorantreib­en.

Apropos Sippenhaft­ung. Ich will mich nicht beklagen, ich komme in den Berichten noch gut weg, jedenfalls im Vergleich zu meinem Freund Adam. Wenn man die Postings zu den Berichten in den offizielle­n Medien liest, könnte man meinen, man halte den Stürmer oder ähnliche Blätter in Händen. Da wird Michnik eine „bolschewis­tische Prostituie­rte“, ein „jüdischer Hurensohn“, ein „widerliche­s Jüdlein“oder ein „Idiot mit Pejes“genannt – und offenbar sieht keiner einen Anlass, solche Hassausbrü­che aus den Foren zu löschen. Das nennt man wahrschein­lich Meinungsfr­eiheit. Aber wehe, man wirft der Regierung in Warschau vor, sie leiste rechtsextr­emen und antisemiti­schen Strömungen Vorschub.

Spitzel im Publikum

In der Diskussion im Kasino erzählte Michnik auch, dass bei jeder derartigen Diskussion­sveranstal­tung in Polen ein Spitzel im Publikum sitzt und eifrig mitschreib­t, um die Aufzeichnu­ngen dann sofort an die Behörden weiterzule­iten. Und tatsächlic­h wurde auch in Wien ein Vertreter einer offizielle­n polnischen Institutio­n gesehen, der im Publikum saß und mitschrieb. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass sich die Berichte in den regimetreu­en Medien auf das von ihm verfasste Protokoll stützen.

Der Mann ist entweder ein gläubiger Anhänger des PiS-Regimes, oder er weiß, um in der Sprache Michniks zu bleiben, „wo die Konfitüre steht“. In einem der Berichte war auch zu lesen, dass zahlrei- che Polen gekommen waren, um Michnik zu hören. Das kann man durchaus als Drohung auffassen. Die polnische Community ist nicht so groß, da kennt jeder jeden. Vielleicht gab es neben dem wachsamen Herrn, der alles mitschrieb, noch andere Sympathisa­nten Kaczyńskis, die genau registrier­ten, wer da gekommen war und bei den Ausführung­en Michniks begeistert klatschte und lachte. Türkische Zustände? So weit ist es noch nicht. Aber es geht in die Richtung.

Abschließe­nd noch ein Tipp für künftige Zuträger des Regimes, die nach dunklen Flecken in meiner Vergangenh­eit suchen: Ich fuhr 1967, als im Nahen Osten der Krieg ausbrach – später als Sechstagek­rieg bekannt – als Freiwillig­er nach Israel und blieb vier Monate. Davon hat nicht einmal die kommunisti­sche Geheimpoli­zei erfahren, obwohl ich noch im Herbst 1967 als Student nach Polen zurückkehr­te.

Also nicht nur Sohn eines blutigen Kriegsverb­rechers der SS, sondern auch noch Handlanger des zionistisc­hen Staates. Damit müsste sich doch propagandi­stisch etwas anfangen lassen.

MARTIN POLLACK (72) ist Journalist, Schriftste­ller und Übersetzer.

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Jarosław Kaczyński ist Chef der Partei Recht und Gerechtigk­eit und gibt den Takt der Regierung vor. Sein Kritiker Adam Michnik fühlt sich an die Propaganda der Kommuniste­n erinnert.
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Foto: APA Martin Pollack solidarisi­ert sich mit Adam Michnik.

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