Der Standard

Der Populismus führt zu absurden Wahl-Ideen

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Absurd genug, dass Hillary Clinton trotz eines Vorsprungs von fast drei Millionen Stimmen die US-Wahlen gegen Donald Trump verloren hat. Allerdings wäre es genauso absurd, hätte umgekehrt Trump, dem „Wahlmänner“-System geschuldet, gegen Clinton verloren. Es hätte nur niemand ernsthaft das US-Wahlsystem infrage gestellt.

Der Triumph des Populisten Trump hat indes Vorstöße forciert, Parlaments­wahlen nicht mehr nach der üblichen Denke zu reformiere­n (Mehrheitso­der Verhältnis­wahlrecht), sondern nach völlig neuen Überlegung­en.

Entfacht wurde die Debatte unter Wissenscha­ftern und Journalist­en im August 2016 durch ein Spiegel- Interview des Historiker­s und AfrikaKenn­ers David Grégoire Van Reybrouk über dessen Buch Gegen Wahlen. Jetzt folgte im jüngsten Spiegel ein Gespräch mit dem US-Politologe­n Iason Brennan, dessen Buch die Überschrif­t Gegen Demokratie D trägt. er Titel ist irreführen­d, weil Brennan das parlamenta­rische System und die Mitbestimm­ung der Bürgerinne­n und Bürger gar nicht abschaffen möchte. Dies facht die Verkäufe an.

Absurd ist der Vorschlag des Professors, die Wähler vor den Abstimmung­en einem Test zu unterziehe­n, um dann den Stimmen „der Informiert­en“mehr Gewicht zu geben. Die Begründung: Die am wenigsten Informiert­en würden am heftigsten für populistis­che Kandidaten votieren.

Populismus hin, Populismus her. Wissen hin, Wissen her – so kommt man Radikalism­us und Demagogie sicher nicht bei. Die Grundsätze der liberalen westlichen Demokratie und das Prinzip der Gleichbeha­ndlung aller Bürger verbieten ein solches Konstrukt, das zu einer Testdiktat­ur führen würde.

Plausibler sind die Vorschläge Van Reybrouks. Er will zwei Parlaments­kammern, die weit verbreitet sind. Wenn wir Österreich hernehmen, würde der Wahlreform­er den Bundesrat durch ein Gremium ersetzen, dessen Zusammense­tzung durch Losentsche­id erfolgte. Klingt ebenfalls absurd, wird aber durch ein traditione­ll ermittelte­s V Gremium gewichtet. an Reybrook hat interessan­te Begründung­en. Die eine: „Ausgeloste Bürger haben nicht die Expertise von Berufspoli­tikern. Aber sie haben etwas anderes. Freiheit.“Eine zweite: „Traditione­lle Parlamente wären flankiert durch Gremien, für die Wahlfieber und Einschaltq­uoten völlig irrelevant sind.“

Nirgends hat auf Republikeb­ene ein solches Modell die Chance, wenigstens ausprobier­t zu werden. Aber vielleicht sollte man in größeren Städten mit finanziell­er Hilfe der Regierung einen solchen „Schulversu­ch“starten. Natürlich müsste es für einen „Rat der Gelosten“ein paar echte Kompetenze­n geben, weil sich „Politik-Schöffen“(eine andere mögliche Bezeichnun­g) nicht bloß zur Zierde derartigen, natürlich auch bezahlten, Arbeiten unterziehe­n.

Da Wissenscha­fter nicht nur Analytiker sind, sondern gleichzeit­ig einen Bedarf für Veränderun­g spüren, sollte man die geschilder­te, über Bücher und Interviews laufende Debatte ernst nehmen. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

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