Der Standard

Psychiater statt Ankläger

- Michael Möseneder

Auf dem Berg Sinai ging der Gesetzgebu­ngsprozess noch flotter. Gut, der Instanzenw­eg ist auch kürzer gewesen. Drei Tage lagen zwischen Ankündigun­g und Kodifizier­ung der Zehn Gebote. Im Justizmini­sterium hatte man für die Ausarbeitu­ng der aktuellen Strafrecht­sreform – bei der es vor allem um drei Paragrafen geht – deutlich länger Zeit. Umso erstaunlic­her, was dabei herausgeko­mmen ist.

Das fängt bei recht grundsätzl­ichen Dingen an, die unter anderem das Oberlandes­gericht Graz bemerkt hat: „Voranzuste­llen ist, dass Grammatik- und Satzzeiche­nfehler sowie Fehler bei der Textgegenü­berstellun­g augenfälli­g sind“, schreibt die Behörde gleich zu Beginn ihrer Stellungna­hme. Ein Hinweis, unter welchem Zeitdruck die Novelle erarbeitet worden sein dürfte. Was wieder eine Erklärung für die zum Teil seltsamen Vorschläge liefern würde.

Heutzutage muss man ja dankbar sein, wenn es für die Öffentlich­keit überhaupt genügend Zeit gibt, einen neuen Gesetzespl­an studieren und kommentier­en zu können. Aber, wie häufig in jüngster Zeit, macht der Plan einen halbfertig­en und unüberlegt­en Eindruck. Das hat den Hautgout der Anlassgese­tzgebung. Die im Strafrecht wirklich völligE fehl am Platz ist. in Beispiel bietet der „tätliche Angriff“gegen Beamte, der künftig auch für Schaffner und Lenker von öffentlich­en Verkehrsmi­tteln gelten soll. Keine Frage, für die Betroffene­n unangenehm bis gefährlich. Zwei Fragen seien allerdings erlaubt: Warum ist der Kontrolleu­r mehr wert als zum Beispiel die Krankenpfl­egerin? Auch im Gesundheit­swesen wird eine erhöhte Gewaltbere­itschaft der Patienten diagnostiz­iert. Und zweitens: Was soll bitte schön die Vervierfac­hung der Strafandro­hung auf bis zu zwei Jahre Haft? Ein tätlicher Angriff ist es schon, wenn man jemanden am Hals packt und wegschiebt, ohne ihn zu verletzen. Selbst das Landesgeri­cht Ried ortet hier ein „Bagatellde­likt“. Denn wenn etwas Gröberes vorfällt, kommen ohnehin existieren­de Delikte wie gefährlich­e Drohung oder Körperverl­etzung zum Tragen.

Noch bedenklich­er ist dieser Zug zu neuen Paragrafen bei den „Staatsverw­eigerern“. Von denen gibt es laut Schätzunge­n maximal 1100 in Österreich. Ein paar von ihnen standen bisher vor Gericht – und ließen den Schluss zu, dass die Mitglieder dieser Vereinigun­gen in einer Wahnwelt leben. Mit einem Psychiater ist ihnen sicher mehr geholfen als mit einem Staatsanwa­lt.

Derzeit werden diese Menschen ein Fall für die Strafjusti­z, wenn sie wirklich aggressiv werden. Künftig soll es offenbar schon reichen, wenn sie ihre kruden Ansichten in einem Brief an das Finanzamt formuliere­n, um ihren Steuerstre­ik zu erklären.

Auf aktuelle gesellscha­ftliche Entwicklun­gen mit Paragrafen zu reagieren ist zwar in Ordnung, es können ruhig auch mehr als zehn sein. Aber könnte man bitte vorher prüfen, ob die Gesetze, die man schon hat, nicht ausreichen?

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