„Vučić überließ bei diesen Wahlen nichts dem Zufall“
Politologe Dušan Reljić über die Methoden von Aleksandar Vučić, seine Macht zu sichern und sich dem Westen gegenüber als Stabilitätsfaktor in der Region zu verkaufen.
Standard: Sind Sie überrascht, dass Aleksander Vučić schon im ersten Wahlgang die notwendigen Stimmen bekommen hat? Reljić: Nein. Wenn man in den letzten Monaten und Jahren die Methoden beobachtete hat, die Vučić anwendet, um seine Macht auszubauen, war auch klar, dass er bei den Vorbereitungen für diese Präsidentschaftswahlen nichts dem Zufall überlassen wird. Die Regierung kontrolliert die meisten Medien. In Serbien ist die Bedeutung des Fernsehens für den Wahlkampf sehr groß. Hier hatte Vučić ein Heimspiel. Eine Gegenstimme gab es in den relevanten Informationsmedien nicht.
Standard: Warum hat sich ein Ministerpräsident überhaupt für das in Serbien zeremonielle Amt des Staatspräsidenten beworben? Reljić: Da hat sich Vučić ein Vor- bild an Boris Tadić von der Demokratischen Partei genommen, der zwar Staatspräsident war, aber die meiste Macht im Staat für sich beansprucht hat. Auch Vučić wird sich eine schwache politische Figur für das Amt des Ministerpräsidenten suchen, jemanden, der sich nicht in seine Angelegenheiten einmischt. Wer das genau sein könnte, darüber möchte ich nicht spekulieren. In Serbien lebt ein Viertel der Bevölkerung in Armut, etwa 40 Prozent sind von Armut bedroht. Wenn man als Präsident aus dem Hintergrund regiert, kann man dem Ministerpräsidenten dann auch die Schuld zuschieben für die Dinge, die schlecht laufen.
Standard: Die Opposition bemängelt seit Jahren, dass Brüssel und Washington alle undemokratischen Schachzüge durchgehen lassen. Sehen Sie das auch so?
Reljić: In den regionalen Beziehungen hat Vučić sich immer an die Vorlagen des Westens gehalten. Der Westen sieht somit in ihm jemanden, der den Laden zusammenhält. Das ist auch ein Produkt der Tatsache, dass Vučić, wie viele andere Politiker der Region, zuerst einmal für Spaltung sorgt. Der Gesellschaft gaukelt er vor, sie sei von Feinden umgeben, um gleich darauf sich selbst als einzigen Faktor der Stabilität zu präsentieren. Solange Vučić den Anschein von Stabilität liefern kann, wird er weiter vom Westen unterstützt.
Standard: Trotzdem ist die Kluft zwischen den Positionen Serbiens und des Kosovo weiter unüberbrückbar. Reljić: Serbien hat das Brüsseler Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen unterschrieben, Vučić hat es nicht sabotiert. Beide Seiten betrachten das Ganze als ein Nullsummenspiel, aber in den letzten eineinhalb Jahren war vor allem die albanische Seite an einer weiteren Umsetzung nicht interessiert.
Standard: In welche Richtung wird sich Serbien in den nächsten Jahren entwickeln? Reljić: Wir haben schon seit den Zeiten von Boris Tadić (Juli 2004 bis Mai 2012, Anm.) eine Untergrabung des politischen Systems erlebt, bei der sich die Macht aus dem Parlament in Richtung Präsidentschaftspalast verschob. In den letzten zwei Jahren unter Ministerpräsident Vučić gab es ein weiteres Nachlassen der Rechtsstaatlichkeit, der Meinungsfreiheit und insgesamt der politischen Kultur in Serbien. Diese „Orbánisierung“sehen wir nicht nur hier. Die Demokratien in Europa sind in den letzten beiden Jahren schwächer geworden, besonders die in Südosteuropa.
Standard: Hilft die EU-Beitrittsperspektive? Reljić: Fakt ist: Die sechs südosteuropäischen Staaten außerhalb der EU haben ihre Märkte der EU gegenüber geöffnet, das Handelsdefizit mit der EU beträgt fast 100 Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt im Bruttosozialprodukt. Das Weiterbestehen des Systems wird vor allem durch Auslandskredite ermöglicht. Eine Konvergenz mit der EU findet nicht statt.