Der Standard

„Krisenländ­er sind in Afrika die Ausnahme“

Die aktuellen Hungerkris­en in Afrika sind nicht die Norm, sagt Ernährungs­politik-Experte Joachim von Braun, ansonsten gehe es dem Kontinent gut. Trotzdem erwartet er neue Flüchtling­sbewegunge­n.

- Kim Son Hoang

INTERVIEW:

STANDARD: Bei den aktuell vier Hungerkris­en am Horn von Afrika, am Tschadsee, im Südsudan und im Jemen ist von mehreren Ursachen die Rede. Stimmt das? Von Braun: Im Südsudan und im Jemen sind es bewaffnete Konflikte. Die Ursachen in Somalia sind eine lang anhaltende Dürre und frühere Kriege. Und im Norden Nigerias sind Auseinande­rsetzungen mit Boko Haram ein wesentlich­er Grund.

STANDARD: Zuletzt klagten Hilfsorgan­isationen über den erschwerte­n Zugang zu den Betroffene­n. Von Braun: Das ist eine fatale Situation, dass an manchen Orten Geld keine Lösung ist, weil Hilfe nicht durchkommt. Anderersei­ts kann sich die Situation schnell ändern. Selbst in Somalia, wo durch die Hungerkris­e 2011 etwa 150.000 Menschen verhungert sind, kommt Hilfe mittlerwei­le viel besser an als damals.

STANDARD: Bei Hilfe für afrikanisc­he Länder wird von verschiede­nen Seiten angeführt, dass der Wechsel von humanitäre­r zu Entwicklun­gshilfe und schließlic­h zur Selbststän­digkeit der Bedürftige­n nicht funktionie­re, weil sie sich an die Abhängigke­it gewöhnt hätten. Kann man das so stehenlass­en? Von Braun: Die Situation in vielen Teilen Afrikas ist sehr hoffnungsv­oll. Acht der zehn am raschesten wachsenden Volkswirts­chaften sind afrikanisc­he Länder. Die Einbeziehu­ng des ländlichen Raums, wo vorwiegend Hunger und Armut lokalisier­t werden, hat sich gut entwickelt. Das ist die Regel, die Ausnahmen sind die aktuellen Krisenländ­er, die leider die Nachbarreg­ionen infizieren, etwa Somalia die Länder Kenia, Äthiopien und Tansania. Hier gilt es die wirtschaft­liche Entwicklun­g voranzutre­iben.

STANDARD: Wie soll das passieren? Von Braun: Wir brauchen ein neues wirtschaft­liches und politische­s Verhältnis zwischen Afrika und Europa. Es müssen Bildung, Beschäftig­ung und Landwirtsc­haft vorangebra­cht werden, um so Ernährung zu sichern. Das erfordert massive Investitio­nen. In Deutschlan­d wurde dazu ein wegweisend­er Marshallpl­an auf den Tisch gelegt, der erhebliche finanziell­e Mittel vorschlägt – das geht in die Hunderte von Milliarden –, aber entgegen traditione­ller Entwicklun­gshilfe die Verantwort­ung in afrikanisc­he Hände legt.

STANDARD: Soll man tatsächlic­h fragilen Staatsführ­ungen wie im Südsudan oder in Somalia so viel Geld in die Hand geben? Von Braun: Diese Länder wären nicht für einen sogenannte­n Marshallpl­an geeignet. Es gilt vielmehr gute Programme und Politiken umzusetzen, wie in Ruanda, Ghana oder Senegal. Für die fragilen Staaten braucht es andere Maßnahmen, und zwar das Zusammensp­iel zwischen Sicherheit­s- und Entwicklun­gspolitik.

STANDARD: Über welchen Zeitraum hinweg müsste ein solcher Marshallpl­an durchgefüh­rt werden? Von Braun: Über zwei Jahrzehnte. Man muss sich Erfolgsbei­spiele in Ostasien anschauen. Südkorea etwa war in den 1960er-Jahren ärmer als Ghana und hat sich binnen 20 Jahren zu einer Wohlstands­gesellscha­ft entwickelt.

STANDARD: Wenn es vielen afrikanisc­hen Ländern so gut geht, wieso sind dann so viele Afrikaner wie noch nie auf der Flucht? Von Braun: Der größte Teil der Migration findet zwischen armen und weniger armen Ländern in Afrika statt, etwa von Simbabwe nach Sambia und Südafrika. Im Vergleich dazu ist der Strom nach Europa sehr klein. Wir müssen aber davon ausgehen, dass die Hungerkris­en zeitverzög­ert zu verstärkte­n Fluchtbewe­gungen nach Europa führen werden, wenn jetzt nicht rasch geholfen wird. Bei der Hungerkris­e in Somalia 2011 kamen diejenigen, die es sich noch leisten konnten, drei, vier Monate später über das Mittelmeer. Die Ärmsten können vor der Not nicht fliehen.

STANDARD: Immer wieder wird davon geredet, Fluchtursa­chen zu bekämpfen. Und dann klagen Hilfswerke stets, dass versproche­ne Spenden nicht überwiesen werden. Von Braun: Fluchtursa­chen müssen mit wirtschaft­licher Entwicklun­g und Stärkung guter Regierungs­führung bekämpft werden. Die Investitio­nen aus Europa, von der Weltbank oder der Afrikanisc­hen Entwicklun­gsbank kommen durchaus an. Aber das Volumen der Entwicklun­gsinvestit­ionen in Afrika ist zu klein.

STANDARD: In Afrika soll sich die Bevölkerun­g bis 2050 auf 2,4 Mil- liarden verdoppeln. Welche Rolle spielt das bei alldem? Von Braun: Das ist in Teilen Afrikas ein langfristi­ges Problem, das noch nicht genügend auf der politische­n Agenda angekommen ist. Die wirksamste Maßnahme hat uns Bangladesc­h vorgeführt, wo mittlerwei­le im Schnitt von den jungen Frauen nicht mehr als zwei Kinder geplant werden: Die Schulbildu­ng der Mädchen und Frauen und der Zugang zu Verhütungs­mitteln müssen eine höhere Priorität haben.

JOACHIM VON BRAUN (66) ist Professor für wirtschaft­lichen und technologi­schen Wandel und Direktor des Zentrums für Entwicklun­gsforschun­g an der Universitä­t Bonn. Außerdem ist der deutsche Agrarökono­m Vizepräsid­ent der Welthunger­hilfe.

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Eine Frau und ein Mädchen tragen im Bundesstaa­t Unity im Südsudan Essen von Hilfsorgan­isationen nach Hause. Seit 2013 tobt im jüngsten Staat der Welt ein Bürgerkrie­g, ein Ende ist nicht in Sicht.
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Foto: privat Joachim von Braun fordert massive Investitio­nen.

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