Der Standard

Harter Start in Afghanista­n nach der Abschiebun­g

Abschiebun­gen aus Österreich nach Afghanista­n werden derzeit forciert. Aber auf die Frage, welche Perspektiv­en Rückkehrer haben, geben Gutachter widersprüc­hliche Antworten.

- Irene Brickner

Wien/Kabul – Für das Innenminis­terium in Wien sind die zahlreiche­ren Abschiebun­gen aus Österreich nach Afghanista­n ein Erfolg: „Pro Kopf gerechnet sind wir in Europa bei Außerlande­sbringunge­n Spitzenrei­ter“, ließ dort ein Sprecher nach dem ersten EU-weit koordinier­ten Abschiebef­lug vergangene­n Mittwoch von Stockholm über Wien in die afghanisch­e Hauptstadt Kabul wissen.

In dem Flieger wurden 29 Afghanen mit rechtskräf­tig negativem Asylbesche­id nach Afghanista­n gebracht: zehn aus Schweden, 19 aus Österreich. Darunter auch ein 19-Jähriger, um dessentwil­len am Montag der Vorarlberg­er Handballpr­ofi Frédéric Wüstner vor Journalist­en trat – als einer von mehreren Flüchtling­sunterstüt­zern, die eine Protestres­olution präsentier­ten.

Man habe seinen „besten Freund“Sonntag vor einer Woche in Hohenems inhaftiert und per Flugzeug nach Kabul gebracht, „ohne dass uns die Beamten die Möglichkei­t gaben, uns zu verabschie­den“, schilderte Wüstner. Eineinhalb Jahre lang habe sich der junge Afghane, der 2015 nach Österreich kam, in Vorarlberg bemüht, gut Deutsch zu lernen, und sich im Fanclub des Handballve­r- eins Alpla HC Hard engagiert. Nun befinde er sich in Kabul in prekärer Lage. Sein Vater sei schon lange tot, die Mutter und beide Schwestern lebten im Iran. Auch könne er in Afghanista­n weder einen Pass beantragen noch ein Konto eröffnen: „Seine auf der Bezirkshau­ptmannscha­ft Feldkirch hintergele­gte Geburtsurk­unde wurde ihm nicht mitgegeben.“

Grundlage der forcierten Abschiebun­gen ist ein im vergangene­n Oktober zwischen der EU und Afghanista­n geschlosse­nes Abkommen. Demnach erhält Afghanista­n 1,2 Milliarden Euro Finanzhilf­en bis 2020 und fertigt Abzu- schiebende­n Einreisepa­piere aus. In Österreich schätzt außerdem ein Ende Februar erstelltes Gerichtsgu­tachten die Wiedereing­liederungs­perspektiv­en von Rückkehrer­n nach Afghanista­n weit positiver ein, als es bisher der Fall war.

Widersprüc­hliche Gutachten

Im Auftrag des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG) kommt der gerichtlic­h beeidete Sachverstä­ndige, Karl Mahringer, zu dem Schluss: „Es gibt keine Gründe, welche die Rückkehr nach Afghanista­n von männlichen Einzelpers­onen unmöglich machen oder eine Gefährdung bedeuten.“

Mit 140 Dollar (131 Euro) pro Monat finde man in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif Essen und Obdach, schreibt Mahringer, ein u. a. in Afghanista­n, Irak und Syrien tätiger Geschäftsm­ann. In den BVwG-Expertisen des vor Mahringer langjährig in Einzelfäll­en beauftragt­en Afghanista­n-Gutachters und Politikwis­enschafter­s Sarajuddin Rasuly waren die monatliche­n Lebenserha­ltungskost­en, inklusive Ausgaben für Transporte, mit 350 Dollar (328 Euro) angesetzt.

Insgesamt dürften Rückkehrer in Afghanista­n vor größeren Problemen stehen, denn abgesehen von den rund 80.000 Abzuschieb­enden aus der EU werden allein heuer 750.000 bis eine Million Rückkehrer aus Pakistan erwartet. Im März warnte die Uno: „Die Aufnahmefä­higkeit in den Städten Afghanista­ns ist begrenzt.“

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Aus Deutschlan­d abgeschobe­ne Afghanen nach der Ankunft am Flughafen Kabul. Neben 80.000 Menschen aus der EU erwartet man in Afghanista­n heuer bis zu eine Million Rückkehrer aus Pakistan.

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