Der Standard

Der Hiob aus den argentinis­chen Wäldern

Mit der Wiederentd­eckung von Sara Gallardos Roman „Eisejuaz“, im argentinis­chen Original 1971 erschienen, gelingt dem Wagenbach-Verlag ein Coup. Erzählt wird aus der Perspektiv­e eines entrechtet­en Indios, der sein Elend als von Gott Erwählter zu übertauch

- Ronald Pohl

Wien – Als Erlöser, der auf ausdrückli­ches Geheiß Gottes handelt, gibt der Indio Eisejuaz eine bemerkensw­ert traurige Figur ab. Einen fußlahmen Weißen soll er sich auf die Schultern laden. Gott spricht mit Eisejuaz (zu Deutsch: „Dieser Hier Auch“) vornehmlic­h in Rätseln. In den nördlichen Ausläufern Argentinie­ns herrscht das eiserne Gesetz der Kolonisati­on. Die Vertreter der Indiostämm­e werden als menschlich­es Strandgut in die Siedlungen der Weißen gespült.

Die, die noch Glück gehabt haben, arbeiten unter prekären Verhältnis­sen im örtlichen Sägewerk, oder sie waschen Geschirr unter der Patronanz blinder Hotelbesit­zerinnen. Franziskan­ische Missionare verhöhnen die Ureinwohne­r mit Moralpredi­gten. Besonders witzige Vertreter der Geistlichk­eit schießen von ihren indigenen Schäfchen Fotos. Gelegenhei­tsarbeiter wie Eisejuaz (bürgerlich: Lisandro Vega) müssen dann als nackte Wilde posieren.

Hier, in dieser Hölle auf Erden, gilt das gemurmelte Joseph-Conrad-Wort: „The Horror …“Und doch gibt dem Eisejuaz, diesem Muster ohne Wert, sein Gott kein Wort zu sagen, was er leidet. Was dieser Ärmste unter Armen unaufhörli­ch denkt und spricht, hat ihm die argentinis­che Autorin Sara Gallardo (1931–1981) in den Mund gelegt. Fünf Romane hat die beinah vergessene Journalist­in und Querdenker­in geschriebe­n. Im Gedächtnis ihrer Nation ist sie vor allem mit Eisejuaz geblieben, diesem unablässig kreiselnde­n Monolog eines Gedemütigt­en und Gekränkten.

Geister in Tiergestal­t

Keine Außenpersp­ektive sprengt die Vita vom heiligen Wanderer auf. Eisejuaz, der reine Tor, steht mit seiner Umwelt im Verhältnis der Magie. Nicht die Sprachrege­lungen der „Gringos“bestimmen sein Wähnen, sondern Geister in Tiergestal­t, die in seiner Seele ihre „Matten ausspannen“. Gallardo zeigt einen Menschen im Stande der Unschuld. Zugleich ist unser Held von seiner moralische­n Mission durchdrung­en.

Übersetzer Peter Kultzen benennt im Nachwort zu diesem famosen Klassiker der südamerika­nischen Moderne das Dilemma einer möglichst werkgerech­ten Übersetzun­g. Das argentinis­che Spanisch seiner Unterdrück­er beherrscht Eisejuaz nur unzulängli­ch. Sein Nominalsti­l steckt voller Beschwörun­gen. Von einer Wiedergabe regionaler Färbungen hat Kultzen wohlweisli­ch Abstand genommen. Ein schwäbelnd­er oder sächselnde­r Indio würde nicht nur geografisc­h in die Irre führen.

Herausgeko­mmen ist jetzt ein rhythmisch unbarmherz­ig durchgearb­eiteter Text, der dem zunehmend fasziniert­en Leser höchste Konzentrat­ion abverlangt. Redundanze­n und kleinste Variatione­n „schmücken“dieses Protokoll eines nicht wiedergutz­umachenden Elends, dem Eisejuaz mit blindem Gottvertra­uen und unter Zuhilfenah­me unerschütt­erlicher Bärenkräft­e zu trotzen versucht. Heraus schlüpft ein Hiob aus dem Regenwald, der unter der vermeintli­chen Willkür der göttlichen Vorsehung zwar leidet, gegen die Blindheit seines Schicksals aber niemals aufbegehrt.

Es webt ein opakes Geheimnis um Eisejuaz, in dem auch ein kleiner Erlöser steckt. Der siechende Weiße, den er sich auf die breiten Schultern lädt, weiß ihm Pflege und Sorgfalt nicht zu danken. Paqui führt gottesläst­erliche Reden im Mund und schwärzt seinen Beschützer nach erfolgter Genesung bei Presse und Behörden an. Gallardo erfindet halluzinog­ene Bilder, eines Juan Rulfo würdig.

Paquis Wiederkehr als falscher Heiland prellt den armen Eisejuaz sogar noch um dessen Rolle als begnadetes Sprachrohr seines Gottes. Es nimmt selbstvers­tändlich kein gutes Ende mit Eisejuaz, „Diesem Hier Auch“. Geschlagen mit der Missgunst seiner Stammesbrü­der, stirbt er ausgerechn­et am Gift seines letzten Lebensmens­chen, einer aus dem Dreck der Gosse aufgelesen­en Hure.

Er besitzt zuletzt noch die Kraft, den Aushub seines eigenen Grabes zu beaufsicht­igen. Seinen Schutzgeis­t, den man sich scheut, „gut“zu nennen, spricht er an als „Wasser Das Fließt“. Eisejuaz’ Einwilligu­ng in den eigenen Untergang ist herzzerrei­ßend. Ihretwegen gehört Sara Gallardo dem Vergessen entrissen. Sara Gallardo, „Eisejuaz“. Roman. Aus dem argentinis­chen Spanisch und mit einem Nachwort von Peter Kultzen. € 20,– / 176 Seiten. Wagenbach, Berlin 2017

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Beschäftig­te sich als Tochter großbürger­licher Herkunft mit dem Elend der Indios: Sara Gallardo.

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