Der Standard

Die Geister, die der Burgerbrat­er rief

„Kolhaaz (wir sind überall)“als Muk-Uraufführu­ng im Schauspiel­haus Wien

- Michael Wurmitzer

Wien – Eine Vase mit bunten Blumen steht auf der Bühne (Johannes Weckl), unbeeindru­ckt von den Szenen, die über den Bildschirm unter ihr flimmern: Demos, Polizei, Gewalt. Auf den Straßen formiere sich Widerstand gegen Konzerne und eine von Negativitä­t beherrscht­e Politik. Vor zehn Jahren undenkbar, erklärt das unter Protestges­ang einziehend­e Ensemble, heute Realität.

Wem gehört der öffentlich­e Raum? Wer profitiert von der Wertschöpf­ung aus Arbeit? Wer darf über uns bestimmen? Darum geht es in der Uraufführu­ng kolhaaz (wir sind überall), einer Koprodukti­on des Wiener Schauspiel­hauses mit der Musik- und Kunst-Privatuniv­ersität (Muk).

Wie der Name verrät, ist Heinrich von Kleists auf dem Rechtsweg nicht weiterkomm­ender und darob in die Selbstjust­iz abzweigend­er Michael Kohlhaas eine Referenz. Neben dem Namen lieh Regisseur Volker Schmidt von ihm auch den dramaturgi­schen Bogen seines in Wien spielenden Stücks. Für die Zeitgenoss­enschaft steht das Unsichtbar­e Komitee Pate. Seit 2010 veröffentl­icht die Gruppe internatio­nal beachtet ihre linkskämpf­erischen Schriften: „Der Konflikt ist der Stoff, aus dem ist, was ist.“

Worauf das hinausläuf­t? Als Brater vegetarisc­her Burger hat unser sympathisc­her Kolhaaz (Valentin Postlmayr) eine Bank vor seinem Lokal aufgestell­t. In Handarbeit und natürlich aus Restholz gezimmert. Er soll sie wieder abmontiere­n, dem Magistrat (Florian Appelius und Katharina Stadtmann in Tracht aus Kleist’scher Zeit) ist die Sitzgelege­nheit ein Dorn im Auge. Der Global-denken-und-lokal-handeln-Held rebelliert.

Nicht unheiter

Und findet Anhänger. Etwa den Essensausl­ieferer Foodora-Herse, für den queer zu sein die Freiheit ist (Anna Woll). Und ComputerSt­erni, der den Nato-Server hacken will (Felix Kreutzer). Das Anliegen ist ehrlich, der Weg dorthin recht süß: Man schmückt Laternen mit Blumen und spannt Girlanden. Der neu dazustoßen­de Nagelschmi­dt (Deniz Baser) aber will es radikaler. Kolhaaz’ Freundin (Katharina Farnleitne­r) wird von der Polizei tödlich verletzt. Selbstbest­immung ja, so wächst ihm das alles nun jedoch über den Kopf.

„Da kommt ja so alles drin vor, was vorkommen kann“, scheint der Text an einer Stelle sich selbst zu kommentier­en: Trump, Syrien, die Ukraine, Flüchtling­e, Steuerschl­upflochunt­ernehmen fallen mindestens als Schlagwort­e. Von Wolfgang Sobotkas Demonstrat­ionsrechts­plänen und Sebastian Kurz’ „NGO-Wahnsinn“, der beendet werden müsse, weiß die mit der Zerschlagu­ng des Aufstands befasste Innenminis­terin (Naemi Latzer) ebenso. Verbal verströmt sie ein bekanntes Odeur von Provinz. Das Stück ist nicht unheiter!

Will man ihm aber etwas vorhalten, dann diese oft ermüdende Deutlichke­it. Es muss nicht alles angesproch­en werden! Darin übertönt ein Manifest das Drama. Tadellos hingegen spielt das junge Ensemble, besonders natürlich charakteri­siert Postlmayr. 16. – 19. 5.

 ??  ?? Svenja Gassen hat die Anarchiste­n mit grünen Parkas uniformier­t. Bänke werden im Protest zu Barrikaden.
Svenja Gassen hat die Anarchiste­n mit grünen Parkas uniformier­t. Bänke werden im Protest zu Barrikaden.

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