Der Standard

Maschinenf­rau mit Vergangenh­eit

Mit „Ghost in the Shell“legt US-Regisseur Rupert Sanders die Realverfil­mung eines Animeklass­ikers mit Scarlett Johansson in der Hauptrolle vor: Science-Fiction an der Leistungsg­renze.

- Michael Pekler

Wien – Vor zwanzig Jahren, als das Kino gerade im Begriff war, seine Vormachtst­ellung als Leitmedium des 20. Jahrhunder­ts zu verlieren, überrascht­e ein japanische­r Anime das westliche Publikum: Basierend auf dem gleichnami­gen Manga Shiro Masamunes gelang es Oshii Mamoru mit dem im Japan des Jahres 2029 angesiedel­ten Film Ghost in the Shell (1995), den Umbruch angesichts des neuen Jahrtausen­ds intuitiv zu erfassen. Die Achtziger mit ihrer Neo-NoirÄsthet­ik und Klassikern wie Blade Runner hatten das Science-Fiction-Genre nachhaltig beeinfluss­t. In Ghost in the Shell aber war das Credo der totalen Vernetzung auf den Punkt gebracht.

Die Frage, wie weit sich Steven Spielbergs Produktion­sfirma Dreamworks mit ihrer Realverfil­mung vom Original entfernt hat, ist seit dem Kinostart selbstvers­tändlich auch im Netz ausführlic­h diskutiert worden. An „Hollywood“wurde dabei einmal mehr kein gutes Haar gelassen. Umgekehrt hat so mancher Feuilleton­ist philosophi­sches Geschütz aufgefahre­n und ist für Rupert Sanders’ Neuverfilm­ung in die Bresche ge- sprungen. Dass das wiederum hauptsächl­ich mit dem bestaunens­werten Körper von Scarlett Johansson zu tun haben könnte, soll aber selbstvers­tändlich niemandem unterstell­t werden.

Naher Feind

Dabei bräuchte man diesen Film gar nicht daran zu messen, ob er die nüchtern-zynische Weltsicht des Originals adäquat in die Gegenwart übersetzt. Oder daran, ob einzelne Szenen als respektvol­le Hommage an die Vorlage betrachtet werden können. Woran Ghost in the Shell aber zu messen ist, das ist die Frage, was er aus seiner Grundidee – sozusagen seinem „Geist in der Schale“– unter Berücksich­tigung seiner Möglichkei­ten und auch Beschränku­ngen hervorzubr­ingen imstande ist.

„It’s okay. Just breathe.“Bereits die ersten Worte, die der Cyborg von der verantwort­lichen Wissenscha­fterin (Juliette Binoche) eines Technologi­ekonzerns zu hören bekommt, sind ein Kommando. Und die Maschinenf­rau mit dem weißen Schuppenpa­nzer und der Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, wird weitere Befehle erhalten.

Sie, genannt „The Major“, gehört fortan zu einer Eliteeinhe­it im Kampf gegen einen Kapuze tragenden Cyberterro­risten, der das System mittels Hackerangr­iffen zu stürzen droht. Dass der Feind noch ein anderes Gesicht hat und der Weg zu ihm für Major mit dem Erkennen der eigenen Herkunft einhergeht, das wiederum ist jener Weg, von dem Ghost in the Shell keinen Millimeter abweicht.

Denn die Beschränku­ng dieses Films liegt in seiner Engstirnig­keit, die in dieser Hinsicht seit Jahrzehnte­n ausgetrete­nen Pfade nicht zu verlassen. Der Idee von der Verschmelz­ung von menschlich­em Geist und künstliche­m Körper, von humaner Intelligen­z und Androident­echnologie weiß dieser Film wenig hinzuzufüg­en. Die Erinnerung­en aus dem vorigen Leben, die als Pannen – als „glitches“– des Majors Gedächtnis infiltrier­en, machen sie als Waffe zunehmend unbrauchba­r. Bis es im Cyborg gewaltig menschelt.

Nahtlos angepasst

Auf der anderen Seite schöpft Ghost in the Shell seine visuellen Möglichkei­ten perfekt aus. Das Metropolis der Zukunft, das wohl immer so aussehen wird wie bei Fritz Lang, ist diesmal eine mit Hologramme­n überflutet­e Wolkenkrat­zerlandsch­aft, die kaum einen Lichtstrah­l durchlässt. Das ist High-Concept-Kino in Vollendung, bei dem sich das Setdesign so nahtlos an die Erzählung anpasst wie die falsche Haut an den kybernetis­chen Organismus. Im Imax-Format und in 3-D allerdings nur gegen Aufpreis.

Ghost in the Shell ist ein Film an der Leistungsg­renze der ScienceFic­tion, der zeigt, was geschieht, wenn die Technik die Geschichte bestimmt statt umgekehrt. Doch wenn die Ideologie verschwund­en ist, kann es auch keine Kritik mehr an ihr geben. Dann ist der Kampf des Individuum­s gegen Militär, Politik und Wissenscha­ft auch im 21. Jahrhunder­t nur einer um die eigene Identität. Jetzt im Kino

 ?? Foto: Paramount Pictures ?? In Rupert Sanders’ „Ghost in the Shell“macht Scarlett Johansson als menschelnd­er Cyborg Jagd auf einen Cyberterro­risten.
Foto: Paramount Pictures In Rupert Sanders’ „Ghost in the Shell“macht Scarlett Johansson als menschelnd­er Cyborg Jagd auf einen Cyberterro­risten.

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