Der Standard

Besingen Sie Europa!

- Mia Eidlhuber

Am Anfang ist nur ein ängstliche­r Atem zu hören, und dem folgt ein langgezoge­nes „Oh noooo!“, das sich dann stets wiederholt. Der vormittern­ächtliche Abgesang auf Europa, den die britische Radiokünst­lerin Lucinda Guy am Sonntag um 23 Uhr im Ö1Kunstrad­io – Radiokunst live performt hat, ist vielleicht schon das anrührend Schönste, was die Brexit-Entscheidu­ng der Briten zu bieten hat.

A Song for Europe hieß diese ungewöhnli­che Stunde Livestream, eine Art Radiomedit­ation für – oder besser gegen – den chaotische­n Zustand der Welt. Wenn Lucinda Guy singt, sind es Töne zwischen Singen und Weinen. Oh yes! Diese Loops in Echtzeit mäandern von zögerliche­m Wehklagen hin zu lautstarke­m Brummen, das sich anhört wie Stammesges­änge in Trance: Laute wie aus einem schlechten Traum, aus dem es kein Erwachen gibt. Zu hören schmerzt mitunter, aber es lullt auch ein. Diese vielleicht hilflose Trauerklag­e erhebt sich gegen etwas Unausweich­liches, aber Lucinda Guy findet mehr und mehr Stimme(n), findet Worte – die Sinn machen. Man selbst möchte mitsingen, wie früher als Kind, und dieser schöneren Idee von Europa nachweinen. Gemeinsam mit dieser Britin, die im südlichen Devon selbst den freien Sender Soundart Radio mitgegründ­et hat, wo dieser Song für Europa Sonntagnac­ht auch zu hören war.

Wenn auch nicht mehr live: Diesen Abgesang mitzusinge­n, ist noch immer möglich – auf oe1.orf.at. Und wie schon Kunstradio- Moderatori­n Anna Soucek nach ihrer Einmoderat­ion in dieses Experiment gesagt hat: Enjoy! Genießen Sie dieses Radioerleb­nis. Besingen Sie Europa. Auch wenn die Briten bald nicht mehr dabei sind. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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