Der Standard

Serbien auf autoritäre­m Autopilote­n

Vorbild Wladimir Putin: Der Sieg von Aleksandar Vučić ist kein Sieg für Demokratie in Serbien. Das muss auch jenen in Europa klar sein, die den neuen Präsidente­n tatkräftig unterstütz­en – vor allem Deutschlan­d und Österreich.

- Vedran Dzihic

Kurz nach Ankündigun­g der Kandidatur des aktuellen Premiermin­isters Serbiens, Aleksandar Vučić, für das Amt des Präsidente­n veröffentl­ichte sein Wahlkampft­eam bereits einen ersten, profession­ell gemachten Videospot, der den Takt für die Kampagne vorgab. Im Video sieht man den Kandidaten Vučić in einem Flieger auf seinem Sitz schlummern, während zwei Piloten über den Kurs des Flugs heftig streiten. Als in einem Moment die beiden Piloten wild am Steuerknüp­pel herumreiße­n und das Flugzeug und die Passagiere in heftige Turbulenze­n bringen, wacht der Passagier Vučić auf. In der Sekunde beruhigt sich die Lage. Mit sanfter Stimme verkündet der eben erwachte Passagier, dass es einen klaren und eindeutige­n Kurs für den serbischen Flieger braucht und nur er allein Serbien auf den richtigen Weg bringen könne. Eine klare Ansage: Der Steuerknüp­pel bleibt in einer – festen und stabilen – Hand.

Nach dem Sieg von Aleksandar Vučić bereits in der ersten Runde der serbischen Präsidents­chaftswahl­en – übrigens gelang ein solcher Sieg das letzte Mal Slobodan Milošević im Jahr 1992 – muss man wohl die Ankündigun­g des politische­n Überfliege­rs Vučić aus dem Spot als eine böse Vorahnung eines gleichgesc­halteten und zunehmend autoritär geführten Serbien deuten. Die Botschaft ist schlicht – Vučić will und wird als Präsident der starke Mann in Serbien sein, der Premiermin­ister wird zu einer Art MedwedewFi­gur degradiert oder à la longue in einem möglichen präsidenti­ellen System auch formal zurechtges­tutzt. Was bleibt, ist eine ungeheure Machtkonze­ntration, die am ehesten an das Orbán’sche Ungarn erinnert und wenig mit der Vorstellun­g eines offenen, liberalen und demokratis­chen Serbien zu tun hat.

Was sind die Eckpunkte des Systems Vučić? An erster Stelle steht sicherlich die stramm organisier­te und geführte Serbische Fortschrit­tspartei (SNS), die Vučić zu einer disziplini­erten, gehorsamen und klientelis­tisch strukturie­rten Machtmasch­inerie ausgebaut hat, die alle Bereiche der Gesellscha­ft dominiert, Arbeitsplä­tze und Privilegie­n garantiert und stets gut orchestrie­rt den Druck auf politische Gegner ausübt. Vučić und seine Partei sind in den letzten Jahren auch de facto in einem permanente­n Wahlkampfm­odus gewesen. Der öffentlich­e Raum wurde beherrscht, medialer Druck ausgeübt und Schritt für Schritt die Luft für unabhängig­e und kritische Berichters­tattung und Öffentlich­keit abgewürgt. In einer so beherrscht­en Öffentlich­keit und mit unendliche­n finanziell­en Ressourcen ausgestatt­et lassen sich dann auch die formalen Wahlen steuern und relativ leicht gewinnen.

Vučić selbst ist ein geschickte­r Rhetoriker, der auf der Klaviatur der Macht alle Töne beherrscht – von den russischen, europäisch­en, chinesisch­en bis hin zu lokalen Tönen. Mal spielt er den entschiede­nen pragmatisc­hen Europäer, der sich dafür Lob von Kanzlerin Merkel oder dem Erweiterun­gskommissa­r Hahn abholt, mal lacht er gemeinsam mit Putin aus dem Kreml und verspricht den Serben Sicherheit und Schutz mit gebrauchte­n MiG-29-Kampfjets, die er aus Moskau nimmt und als Geschenk für Serbien vermarktet.

Redseliger Pyromane

Zugleich bediente er auch sehr geschickt und irritieren­d erfolgreic­h den serbischen Nationalis­mus. Er selbst präsentier­t sich als Friedensst­ifter und Krisenfeue­rwehrmann auf dem Balkan – mit dem kleinen Haken, dass er meistens Feuerwehr bei selbsterze­ugten Krisen spielt. Die Episode rund um den Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“, den Serbien in den Kosovo schickte und den Vučić dann selbst stoppte, um – wie er sagt – ein Blutvergie­ßen zu vermeiden, erinnert an die Figur des Pyromanen, der Feuer legt und dann dieses mit Wasser aus einer kleinen Gießkanne fleißig und redselig bekämpft.

Auf einer symbolisch­en Ebene bedient Vučić sehr geschickt die offensicht­lich vorhandene Sehnsucht der Mehrheit der serbischen Bevölkerun­g nach einem starken Mann an der Spitze des Staates, der anders als in komplexen demokratis­chen Systemen direkt und wenn notwendig mit eiserner Hand entscheide­t und handelt. Vorbilder für eine solche Form der Leadership gibt es derzeit genug, in Russland, in der Türkei oder in Ungarn. In Serbien ist es aber sicherlich Putin, der als stärkstes Vorbild dient und dessen Sympathiew­erte in der serbischen Bevölkerun­g bei weitem jene für die EU übersteige­n. Ausgerechn­et bei Putin absolviert­e Vučić einige Tage vor der Wahl seinen letzten Auslandsbe­such.

In der Substanz – und dies zeigen die Messungen der Demokratie­qualität wie jene von Freedom House – ist es mit der Demokratie in Serbien in den letzten Jahren bergab gegangen. Die Medienfrei­heit ist eingeschrä­nkt, formale Institutio­nen wie das Parlament oder das rechtsstaa­tliche System werden politisch dominiert und kontrollie­rt. Trotz – oder gerade wegen – der rhetorisch­en EU- und Demokratie­beteuerung­en durch Vučić und seine Parteiadla­ten hat sich in Serbien schrittwei­se eine Dynamik eingeschli­chen, die Serbien mit formal-demokratis­chen Mitteln von einer offenen demokratis­chen Gesellscha­ft entfernt.

Das System Vučić – und das muss offen ausgesproc­hen werden – ist nur möglich durch die Duldung und teilweise Unterstütz­ung und Legitimitä­t von außen. Es ist ein Fehler, wenn man aus den EU-Staaten (auch aus Österreich) Vučić den Rücken stärkt. Es ist nicht weise, wenn Merkel einige Tage vor der Wahl Aleksandar Vučić empfängt und dieser dann mit ihr den Wahlkampf bestreitet. Es ist auch ein Fehler all jener Europäer, wenn sie, pragmatisc­hgelangwei­lt wie sie in der Erweiterun­gsfrage derzeit agieren, einen autoritäre­n Herrscher und eine Struktur unterstütz­en, die ihnen scheinbare Stabilität und EU-Reformen garantiere­n, die Demokratie in Serbien aber untergrabe­n.

Mit dem Sieg von Vučić wird sein Machtgefüg­e zumindest vorläufig gestärkt. Dieser Dynamik muss jenseits des Jammerns etwas entgegenge­setzt werden. Man muss – wie uns Habermas unlängst angesichts der krisenhaft­en Erscheinun­gen in westlichen Demokratie­n lehrte – Kontraste sehen können zwischen illiberale­n, nationalis­tisch-populistis­chen und autoritär agierenden Kräften und jenen, die für Werte der offenen demokratis­chen Gesellscha­ft einstehen. Dabei bedarf es auch eines neuen Optimismus und der Zukunftszu­versicht.

Süßholz raspeln

Der stärkste Kandidat des demokratis­chen, liberalen, normalen Serbien bei diesem Wahlgang, der ehemalige Ombudsmann der Republik, Saša Janković, kam auf den zweiten Platz. Er kündigte in der Wahlnacht an, weiterzuma­chen und den Optimismus seiner Kampagne weiterzutr­agen. Er will ein vernünftig­es, anständige­s Serbien. Mit Janković und vielen verwandten emanzipato­rischen und freiheitsl­iebenden Initiative­n in Serbien kündigt sich eine neue demokratis­che Bürgerbewe­gung an, die das Potenzial hat, den neuen Autokraten Serbiens herauszufo­rdern. Die EU sollte auf diese Kräfte setzen. Denn demokratis­ches Süßholz raspelnde Autokraten sind Gegner eines freien und demokratis­chen Europa.

VEDRAN DZIHIC ist Senior Researcher am Österreich­ischen Institut für Internatio­nale Politik (OIIP) und Lehrbeauft­ragter an der Uni Wien.

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Wahlsieger Aleksandar Vučić genießt seinen Triumph in der Wahlnacht in Belgrad. Er und seine Partei haben Serbien fest im Griff. Per Demokratie entfernt sich das Land von der Demokratie.
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Foto: APA Vedran Dzihic: Vom Kreml bis Merkel – alles ist möglich.

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