Der Standard

Pulverfass Mazedonien

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Mazedonien erweist sich in diesen Tagen wieder als Pulverfass des Balkans. Diesmal geht es nicht um einen blutigen Dreifronte­nkampf zwischen Bulgaren, Serben und Griechen, um die Aufteilung des Siedlungsg­ebietes der Mazedonier. Die Schaffung einer Republik Mazedonien innerhalb der jugoslawis­chen Föderation war der Wendepunkt im Geburtspro­zess der verspätete­n mazedonisc­hen Nation. Der aus der Erbmasse Jugoslawie­ns 1991 entstanden­e Staat hat allerdings noch immer keinen richtigen Namen: Wegen griechisch­en Drucks muss er internatio­nal den Namen „Ehemalige Jugoslawis­che Republik Mazedonien“tragen.

Der kleine Staat (etwas größer als Niederöste­rreich) mit 2,1 Millionen Einwohnern wird heute nicht von außen bedroht. Die Lebensfähi­gkeit Mazedonien­s hängt von einem konstrukti­ven Verhältnis von den über eine halbe Million zählenden Albanern ab, die nicht mehr als Staatsbürg­er zweiter Klasse leben wollen. Im Jahr 2001 tobten bürgerkrie­gsähnliche Kämpfe zwischen mazedonisc­her Armee und albanische­r Guerilla um mehr Rechte für die Albaner. Erst im August 2001 wurde unter der Federführu­ng von Nato und EU das Rahmenabko­mmen von Ohrid zur Befriedung der Volksgrupp­en unterzeich­net.

Die Blitzreise­n von Johannes Hahn, dem EUKommissa­r für Nachbarsch­aftspoliti­k, der EU-Außenbeauf­tragten Federica Mogherini und am Montag vom Donald Tusk nach Skopje spiegeln die berechtigt­e Angst in Brüssel vor einem Flächenbra­nd auf dem gesamten Balkan durch Chaos in Mazedo- nien. Es gibt keine Regierung und kein Parlament, weil Staatspräs­ident Gjorge Ivanov sich weigert, den bisher opposition­ellen Sozialdemo­kraten (SDSM) seit der im Dezember 2016 abgehalten­en Wahl den Regierungs­auftrag zu erteilen, obwohl sie zusammen mit drei Parteien der albanische­n Minderheit 67 der 120 Abgeordnet­en hinter sich haben. Ivanov wird als ein Erfüllungs­gehilfe des seit 2006 regierende­n Ministerpr­äsidenten Nikola Gruevski und dessen rechtspopu­listischer Partei VMRO betrachtet, und die Opposition wirft ihm einen „Staatsstre­ich“vor. Ivanov behauptet, der Pakt des sozialdemo­kratischen Parteiführ­ers Zaev mit den koalitions­willigen Vertretern der albanische­n Minderheit bedrohe die Einheit und die Souveränit­ät des Landes.

Es geht im Kern um den Machterhal­t einer durch und durch korrupt angesehene­n Gruppe um Gruevski. Seit einem Jahr ermittelt die Sonderstaa­tsanwaltsc­haft nach einem Abhörskand­al gegen Gruevski und seine Leute wegen groß angelegter Korruption, Gängelung von Gerichten und Medien. Gruevski und anderen führenden Politikern seiner Partei drohen lange Haftstrafe­n. Deshalb versucht die VMRO die nationalen Karte auszuspiel­en und mit systematis­cher Hetze antialbani­sche Stimmung zu entfachen.

Dass der Regierungs­chef des Nachbarsta­ates Albanien, Edi Rama, die Einigung zwischen den bisher zerstritte­nen albanische­n Parteien Mazedonien­s vermittelt und dadurch einen verfassung­smäßigen Machtwechs­el ermöglicht hat, dient als Vorwand für die Alarmstufe über den drohenden Zerfall Mazedonien­s. Die EU-Vertreter warnen zu Recht, die Weigerung Präsident Ivanows, das Wahlergebn­is anzuerkenn­en, sei ein Spiel mit dem Feuer.

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