Wie der Punk mit der Band Chuzpe vor 40 Jahren nach Wien kam
Vor 40 Jahren gründete der Wiener Postbeamte Robert „Räudig“Wolf die Punkband Chuzpe, Filmemacher Peter Ily Huemer drehte darüber eine Doku. Ein Gespräch mit dem Musiker über das Großwerden in Wien. FEATURE:
Irgendwann hörte er im Fernsehen einen heimischen Künstler über dessen Aufwachsen im zweiten Wiener Gemeindebezirk reden, dabei erwähnte dieser „den einarmigen Parkwächter im Augarten“, vor dem sich alle Kinder gefürchtet hätten. Robert Wolf, der sich als Musiker „Räudig“nannte und Gründer sowie Sänger und Gitarrist der legendären Wiener Punkband Chuzpe war, muss lachen, als er davon erzählt. Denn „der Einarmige“war sein Adoptivvater, und dass sich alle Kinder vor ihm fürchteten, das muss er leider bestätigen. In den Rasen eines öffentlichen Gartens stieg damals niemand ungestraft hinein.
In jener Ecke des Augartens, in der heute das Filmarchiv Austria untergebracht ist, waren früher Wohnungen der Bundesgartenbediensteten. Eine 60-Jährige, die „als Sesselfrau im Burggarten arbeitete“, wo sie den Flanierenden Stühle zuwies, und deren kriegsversehrter Ehemann hatten Robert Wolf nach dessen Geburt 1953 in Pflege genommen, seine leibliche Mutter war alleinerzie- hend und überfordert. Die Pflegeeltern adoptierten ihn schließlich sogar mit Einverständnis der Mutter, mit der er aber in Kontakt blieb. Jeden Sommer verbrachte er die Ferien bei ihr in Kärnten, wohin sie gezogen war.
Robert lebte mit seinen Adoptiveltern in einer bescheidenen Zimmer-Küche-Wohnung, er schlief bei der Mutter im Ehebett, der Vater auf einer Eisencouch in der Küche. Er hatte ein liebevolles, wenn auch distanziertes Verhältnis zu ihnen. Die obligatorischen Watschn vom strengen Adoptivvater? „Ja, du meine Güte!“, sagt er, der hatte selbst „mehr Schläge als Essen gekriegt“.
Ohne rechten Arm
Er war schon im Ersten Weltkrieg gewesen, dann Holzknecht, bevor er auch in den Zweiten Weltkrieg musste. Aus diesem kam er ohne rechten Arm zurück. „Das Essen bei der Adoptivmutter“, erinnert sich Wolf, „war sehr gut, ihre zehn Speisen hat sie gut variiert.“Aber weil er ein schmächtiges Bürschchen war, empfahl der Arzt zusätzlich jeden Abend ein dunkles Hubertusbräu mit Eidotter und Zucker. „Hat nicht schlecht geschmeckt!“, sagt Wolf. Bis er in die Pubertät kam und die Hormone in ihm das Ei und den Zucker ablehnten. Das Bier schmeckte ihm weiterhin.
An den Sonntagen ging die Familie ins Wirtshaus, meistens in die Reblaus auf der Oberen Augartenstraße oder in den Prater. Dort gab es überall Jukeboxen, mit einem Schilling konnte man sich vier Singles anhören. Der erste Song, der dem kleinen Robert wirklich in die Zehen fuhr, war die Sauerkrautpolka von Gus Backus. Er trug knielange Cloth-Hosen aus schwarzem Leinenstoff, dazu Hemden und aufgeschürfte Knie, als er die Volksschule in der Leopoldsgasse besuchte und dann die Hauptschule in der Oberen Augartenstraße. Dass es eine „Angewandte“gab, auf der er, ein im Zeichnen Begabter, mal hätte studieren kön- nen, davon wusste in seiner hermetischen Welt niemand etwas.
Dort, wo heute der Konzertsaal der Wiener Sängerknaben untergebracht ist, war früher eine Autowerkstatt mit Tankstelle. Daneben wohnte die junge Hausmeisterin, sie hatte Soul-Platten in ihrer Wohnung und hörte weichen Beat –„ Silence Is Golden, solche Sachen“. Wolf verbrachte viele Nachmittage bei der Dame, die auch eine schöne Bar mit vielen Likören in allen erdenklichen Farben hatte. Er war dreizehn, als er den ersten Rausch mit nach Hause brachte. Dort lag er dann auf der Eisencouch, und seine Adoptivmutter fragte ihn besorgt, was denn los wäre. Und er fragte sich das auch.
Der Jugendliche sucht nach seiner Identität, und Robert suchte sie im Bravo, das damals noch mehr Musikheft war als Aufklärungspostille, in Lupo Modern (einem Spin-off der Fix und Foxi- Hefte), oder im Hobby Magazin für Technik. Außerdem hatte seine Familie als erste im Haus einen Fernseher, aus dem seltsame Meldungen drangen: Eine Musikgruppe namens The Beatles befand sich gerade in Amerika, Mädchen fielen reihenweise in Ohnmacht.
Musik konnte etwas bewirken, und Fernsehen war informativ damals, es durften nur keine ÖVPler darin vorkommen. Dann nämlich schrie sein Adoptivvater „Du Sakristeiwanze! Du Kuttenbrunzer!“, und er drohte mit der einen verbliebenen Hand. Seit dem Justizpalastbrand 1927 konnte er die Bürgerlichen nicht leiden, seit damals war er ein Roter. Und obwohl er den Krieg hasste, hört er nach wie vor beinahe ausschließlich Marschmusik, allerhöchstens mal Wienerlieder. Die gegenwärtige Wienerlied-Renaissance löst in Wolf daher nur Abscheu und Ekel aus, Voodoo Jürgens kommt ihm nicht auf den Plattenteller.
„Diskotheken“, erinnert er sich, „gab es einige wenige: eine am Gürtel. Und das Papillon beim Haus des Meeres. Und eine im
Robert lebte mit seinen Adoptiveltern in einer bescheidenen Zimmer-Küche-Wohnung, er schlief bei der Mutter im Ehebett, der Vater auf einer Eisencouch in der Küche.