Der Standard

Gerade zu Ostern spüren die Griechen die Folgen der Wirtschaft­skrise

Die breite Verarmung in Griechenla­nd spiegelt sich im einst generös organisier­ten Osterfest wider. Familienba­nde lösen sich auf, Feiern werden mit Freunden improvisie­rt. Doch viele, die kein Geld mehr haben, vergraben sich zu Hause.

- Markus Bernath aus Athen

Es waren die höchsten Feiertage im Jahr, die wichtigste­n, immer wiederkehr­enden Momente im Leben einer Familie und ihrer Freunde. Ostern hat auch jetzt noch diese große Bedeutung für die Griechen, und sei es, weil viel davon nur noch schmerzlic­he Erinnerung an glückliche­re Tage ist. Denn zum gemeinsame­n Feiern fehlt das Geld. „Die Mittelklas­se ist tot“, sagt Ulrice Evangeliou, eine deutsche Erzieherin, die seit einem Vierteljah­rhundert in Griechenla­nd lebt und ihre Familie mit kleinen Jobs durchbring­t. Ostern in Griechenla­nd ist ein Spiegel geworden für die Wunden, die Rezession und Verarmung in den vergangene­n acht Jahren geschlagen haben.

„Früher hätte man gesagt: Kommt alle, und fertig. Die Gäste zu bitten, etwas mitzubring­en, war schon peinlich“, erinnert sich Evangeliou. Am Ostersonnt­ag wurden ganze Lämmer gegrillt, auf einem Spieß über dem Feuer im Garten für zehn, zwanzig Gäste – Verwandte, Nachbarn, gute Freunde. Jetzt kommen sie mit Wein oder legen Geld zum Braten dazu. Und wer nichts mitzubring­en hat, bleibt aus Scham zu Hause. „Das ist die soziale Isolation“, sagt Ulrice Evangeliou. „Zu Ostern sieht man sie nur ganz arg, aber sie ist jeden Tag da.“

Ein Land im Würgegriff

Knapp ein Viertel der Griechen lebt mittlerwei­le unter der Armutsgren­ze mit weniger als 350 Euro Einkommen im Monat. Dies ist nur der extreme Auswuchs der Finanzkris­e, die das Land zuerst verdeckt, ab 2010 dann für alle Welt sichtbar im Würgegriff hält. Tod und Auferstehu­ng, der Zyklus von Ostern, mag da eine Art Trost sein für jene Griechen, die religiös sind. Eine Art Verspreche­n für Jobs und die Rückkehr zu einem normalen Leben in einer Zukunft, die noch niemand sieht.

Vom Palmsonnta­g an, an jedem Tag der „megali evdomada“, der „großen Woche“, wie die Karwoche in Griechenla­nd genannt wird, zelebriere­n Popen und Bischöfe eine Messe mit einem anderen Thema: am Montag die Geschichte von Josef in Ägypten, das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen am Dienstag, die Pharisäer und Judas am Mittwoch, Fußwaschun­g und Abendmahl am Gründonner­stag, am „großen Freitag“Kreuzigung und Prozession­en. Das Land kommt dann langsam zum Stillstand.

Die Jungen sind weg

„Die Familien sind nicht mehr komplett“, sagt Sofia Matouri, eine Athener Innenarchi­tektin. Viele der jungen Griechen haben Griechenla­nd den Rücken gekehrt. Das Geld und die Zeit für einen Besuch zu Hause über Ostern haben die meisten nicht. „Wenn ich noch 20 wäre, dann wäre ich auch gegangen“, sagt Matouri. Sie ist 39 und schlägt sich allein mit einem eigenen Unternehme­n durch. Zu Ostern fährt sie mit ihren Eltern und der Schwester zu einem Landhaus in der Nähe von Korinth. Im Garten dort steht noch ein Steinofen des Großvaters. Dort hinein kommt der Lammbraten.

Der noch verheerend­ere Schaden, den jahrzehnte­lange Misswirtsc­haft, dann der Zwang zur radikalen Sparpoliti­k anrichtete­n, traf die nächsten zwei Viertel der griechisch­en Gesellscha­ft: die Mittelschi­cht. 30 bis 40 Prozent Einbußen bei Gehältern und Pensionen, Unternehme­nsschließu­ngen, Steuer- und Beitragser­höhungen, die eine legale selbststän­dige Arbeit nicht länger rechenbar machen, haben Griechenla­nds Mittelschi­cht zerrieben. Sie sitzt in Häusern, die sie sich nicht mehr leisten kann, aber die niemand will. Sie führt Geschäfte fort, die oft nur noch Schulden produziere­n, doch deren Schließung das Aus für die Familie bedeuten würde – kein Strom mehr, keine Kreditkart­e, dafür Pfändung und Zwangsvers­teigerung.

Dimitri Babassikas, einem pensionier­ten Geologen, und seiner Frau Niki geht es daran gemessen noch sehr gut. Das Ehepaar lebt zusammen mit Tochter und Großmutter in einem Haus in Penteli, einer Athener Vorstadt auf dem gleichnami­gen Berg. Ein bekanntes Kloster liegt dort ebenfalls. „Wir versuchen, wie früher zu feiern“, sagt Dimitri Babassikas, „unsere Tür ist offen. Jeder kann kommen.“Niki backt und kocht jeden Tag, Gerichte für die letzten Fastentage, Magiritsa – die Suppe in der Osternacht – und Koulouraki­a, das Buttergebä­ck für den Tag danach. Am Ostersonnt­ag werden sie wieder ein Lamm im Gar grillen und Nachbarn einlad „Wir möchten die Leute, die all sind, an diesem Tag nicht alle lassen“, sagt Dimitri Babassika

Einigung mit Gläubigern Seite

 ??  ??
 ??  ?? Ein Gläubiger im Kloster von Penteli bei Athen berührt mit seiner Stirn ein Kreuz während der traditione­llen Nachstellu­ng der Abnahme von Jesus am Karfreitag.
Ein Gläubiger im Kloster von Penteli bei Athen berührt mit seiner Stirn ein Kreuz während der traditione­llen Nachstellu­ng der Abnahme von Jesus am Karfreitag.

Newspapers in German

Newspapers from Austria