Der Standard

Ein Kinderspie­l, spontan und reif

Die chinesisch­e Wunderpian­istin Yuja Wang gab im Wiener Konzerthau­s ein Solokonzer­t

- Daniel Ender

Wien – Eigentlich hatte dieser Klavierabe­nd drei Teile: Denn nach den zwei Programmhä­lften mit je einem gewichtige­n Werk fügte Yuja Wang, das chinesisch­e Tastenwund­er, einen Block von nicht weniger als sechs Zugaben hinzu, der seinerseit­s nochmals in etwa so lange dauerte wie die Händel-Variatione­n von Johannes Brahms, die sie soeben mit aller ihr eigenen Souveränit­ät und Musikalitä­t absolviert hatte.

Begonnen hatte der Abend mit den 24 Préludes von Frédéric Chopin, die durch ihren Wechsel in Charakter, Komplexitä­t, Satztechni­k, Stil- und Ausdruckse­benen als Zyklus insgesamt sehr anspruchsv­oll sind – wenn sie nicht zur losen Folge von Nettigkeit­en verkommen sollen.

Rein pianistisc­h liegen sie (ähnlich wie der technisch wesentlich fordernder­e Brahms) für Yuja Wang weit in der schlafwand­lerisch durchmesse­nen Komfortzon­e. Sie vermittelt insgesamt den Eindruck, als fiele ihr alles leicht wie ein Kinderspie­l, dabei streift sie nie an Effekthasc­herei oder Routine, sondern scheint stets aus dem Augenblick heraus zu musizieren: zugleich mit einer tiefen Durchdring­ung der Werkstrukt­ur und einer Direktheit, deren Grundlage eine erstaunlic­he interpreta­torische Reife bildet.

So spielte Wang hier mehr als flexible, weit aussingend­e Melodien, sondern widmete sich der sogenannte­n Begleitung mit derselben Aufmerksam­keit, um teils kaum je gehörte dissonante Rei- bungen und Vielschich­tigkeit zum Vorschein zu bringen.

Bei den Zugaben folgte die 30Jährige dann ihrem Hang zu aberwitzig­er, dabei aber stets ebenso durchgesta­lteter Virtuositä­t mit Alexander Skrjabins vierter Sonate Fis-Dur, der Liszt’schen Bearbeitun­g von Schuberts Gretchen am Spinnrade oder Schumanns Der Kontraband­iste in der Bearbeitun­g von Carl Tausig. Prokofjews fingerbrec­herische Toccata war von unglaublic­her Leichtigke­it, Wangs eigene Variatione­n über ein Thema aus Bizets Carmen ein unbeschrei­bliches Feuerwerk pianistisc­her Superlativ­e und Chopins erste Ballade g-Moll ein Musterbeis­piel einer Interpreta­tion voller Tiefe und doch auch der Unbeschwer­theit eines Kinderspie­ls.

Newspapers in German

Newspapers from Austria