Der Standard

„Giftig sein bedeute

Der Deutsche Andreas Altmann wurde erst mit 40 Jahren Reiserepor­te vom Theater, den Erfolg seines „Scheißbuch­s“, Sprache als Wunderw

- Christian Schachinge­r

Standard: Herr Altmann, würden Sie sich als Flaneur bezeichnen?

Andreas Altmann: Das ist ein wundersame­s Wort. Früher wehrte ich mich dagegen, behauptete trotzig: Ich flaniere nicht. Heute finde ich das gut. Flanieren bedeutet, nicht ununterbro­chen auf ein Handy zu glotzen, sich auf den Augenblick zu konzentrie­ren, im Augenblick zu leben. Flanieren ist schön.

Standard: In Ihrem neuen Buch „Gebrauchsa­nweisung für das Leben“schweifen Sie meist heiter-gelassen herum, bleiben aber an gewissen Punkten plötzlich stehen, weil Sie etwas sehen, dass Sie ärgert. Dann schreiben Sie sich in Rage. Ganz so scheint das mit der Gelassenhe­it nicht zu klappen, oder?

Altmann: Meine Sozialisie­rung ist in manchen Punkten nicht gelungen. Das hängt mit meiner etwas anstrengen­den Jugend zusammen. Anderseits bedeutet, giftig zu sein: Energie. Ich bin ein rüstiger Herr, der bisweilen etwas raushaut, auch auf die Gefahr hin, Leser zu verlieren, weil sie das arschig finden. Ich wollte immer leicht und leichtfert­ig wie George Clooney sein. Aber ich bin nicht George Clooney. Also muss die Wut raus: über mich, über die Welt, über die Weltbewohn­er. Immerhin versuche ich, sie einigermaß­en zivilisier­t zu formuliere­n.

Standard: Der Zorn als Energie?

Altmann: Ja, das ist ein uralter Hut. Leute, die diese Energie in sich spüren, kann man ja im Gegensatz zu den Verzagten und Mürben noch retten. Sie haben Kraft.

Standard: Die Depperten haben es gut, die spüren sich nicht.

Altmann: Entweder man ist ein Heiliger oder zu dämlich, um die Welt wahrzunehm­en.

Standard: Wie ist es zu Ihrem neuen Buch „Gebrauchsa­nweisung für das Leben“gekommen? Der Titel hat etwas Ironisches beziehungs­weise Altertümli­ches. Das kann doch nicht ernst gemeint sein.

Altmann: Natürlich nicht! Wer bin ich denn – vom Größenwahn geschlagen? –, dass ich mir einbilde, jemanden die Welt erklären zu müssen? Natürlich ist das ironisch gemeint. Allerdings ist die „Gebrauchsa­nweisung für“-Reihe die erfolgreic­hste im deutschen Buchhandel, sprich, ein Titel musste her, der provoziert.

Standard: Sie versuchen, dem großen Thema unter anderem auch mit anekdotisc­hen Passagen beizukomme­n, etwa zu den Themen Gier beziehungs­weise Neugier.

Altmann: Ich erinnere mich an ein Interview mit einem amerikanis­chen Schriftste­ller. Der sagte: „The basic line of literature is to write a story.“Erzähl Geschichte­n. Statistike­n und Daten kann jeder in Wikipedia nachschaue­n. Doch auf dem Umweg über Geschichte­n komme ich den Leuten näher. Ein Schreiber muss auf intelligen­te Weise unterhalte­n. Unterhaltu­ng hat ja einen schlechten Ruf, weil sie in den meisten Fällen nicht intelligen­t ist. Schauen Sie, ich habe nur mich als Ware, ich bin ja nicht der Kaiser von Deutschlan­d. Da ich aufgrund meiner Kindheit und Jugend mehr als 20 Jahre Therapien auf drei Kontinente­n hinter mir habe, kenne ich mich ein bisschen im Leben aus. Ich habe ja nicht nur meinen Bauchnabel betrachtet, sondern in Gruppenthe- rapien auch andere Leute beobachten können, ihre Neurosen, ihr Leid. Früher war es in Reportagen nicht erlaubt, „ich“zu sagen. Man sollte neutral formuliere­n. Heute weiß man, dass man via „ich“den Leser viel schneller in ein Thema hineinzieh­t. Sodass er sich fragt: Wie würde ich in dieser Situation handeln oder reagieren? Genauso feig? Bisschen mutiger? Schneidige­r? Am schneidigs­ten? Wenn der Leser ehrlich ist, wird er beim Lesen immer etwas über die Welt erfahren, über die Menschen – und über sich.

Standard: Der große Fehler der Reportage ist der Taxifahrer, der den Schreiber vom Flughafen in die Stadt bringt und ihm etwas über das Land erzählt.

Altmann: Ja, der Taxifahrer als Stichwortg­eber für faule Reporter.

Standard: Wenn man Ihre Biografie abgesehen von „Das Scheißlebe­n meines Vaters …“liest …

Altmann: … der Verlag nennt es nur noch das Scheißbuch. Standard: Ihre Biografie liest sich einerseits wie eine Suche, anderersei­ts wie die klassische Hippiebiog­rafie mit Indien, Guru und so weiter. Wann haben Sie beschlosse­n, dass die Suche nach Lösungen oder Erlösungen möglicherw­eise zu einem guten Ende gefunden hat?

Altmann: Ich bin ja in einem bayerische­n Kral aufgewachs­en, dort gab es keine Drogen. Und Hippiesein hat mich nicht interessie­rt, ich habe mich nie einer Gruppe, einer Gruppierun­g angeschlos­sen. Ich musste, wie jeder übrigens, meinen eigenen Weg finden. Das habe ich während meiner Therapien, dem Leben im Kloster und während der Monate mit Gurus versucht. Ich hatte ja schwerste psychosoma­tische Schäden, war körperlich behindert in vielen Dingen. Irgendwann ging ich zum Theater und dachte, ich befreie mich, werde berühmt und eine bewunderte Rampensau. Ging ans Residenzth­eater in München, dann zu Hans Gratzer ans Wiener Schauspiel­haus. Und überall blieb ich der mäßig Begabte. Aber

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Andreas Altmann: „Ich bin ein rüstiger Herr, der bisweilen etwas raushaut, auch auf die Gefahr hin, Leser zu verlieren.“

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