Der Standard

Der Traum von der Toleranz der Religionen

Welche ist die wahre Religion? Mit Lessings „Nathan der Weise“begibt sich Regisseur Nikolaus Habjan im Volkstheat­er auf die Spur. Trotz momenthaft beeindruck­ender Stimmungen steht am Ende ein bleiernes, verschloss­enes, biederes Theater.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Seit Religion verschärft ein Gesprächst­hema ist, findet sich auch Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise (1779) – das Religionsf­rieden stiftende Drama der Aufklärung – auf vielen ambitionie­rten Spielpläne­n der Theaterhäu­ser. Das darin enthaltene Plädoyer für Toleranz gipfelt in der berühmten Ringparabe­l, mithilfe derer Nathan, ein reicher Jude aus Jerusalem, dem Fürsten Saladin ein Religionsr­anking ausredet („Welches ist die einzig wahre Religion?“). Nathans Antwort: Allen Gläubigen, Juden, Christen oder Muslimen, sei die eigene die wahre Religion.

Wie sehr der in der Volkstheat­er-Inszenieru­ng gutmeinend gezeichnet­e Nathan (Günter Franzmeier) darüber hinaus aber mit sich hadert, verdeutlic­ht Regisseur Nikolaus Habjan mit einer Persönlich­keitsdoppl­ung. Er stellt dem unruhigen Titelhelde­n eine Puppe seiner selbst zur Seite, die sich dann und wann aus dem Boden zur Zwiesprach­e erhebt.

Das erzeugt szenisch Wirkung, hilft den bleischwer­en Blankverse­n aber auch nicht auf die Beine. An ihnen müht sich das Volkstheat­er-Ensemble vergeblich ab. Dass vieles an dieser Inszenieru­ng publikumsf­ern passiert, liegt auch daran, dass das Schauspiel sich auf die tief drinnen im Bühnenraum liegende Drehbühne konzentrie­rt.

Die dort mittig aufgetürmt­e Ruine macht aber auch ohne Text Eindruck (Bühne: Denise Heschl, Jakob Brossmann). Es regnet zu Anfang Asche auf das düstere Maueragglo­merat Jerusalems, in dem die Häuser von Muslimen, Christen und Juden wie ineinander­gebaut scheinen. Ein Feuer hat Nathans Heim zerstört, und wie davon unmittelba­r betroffen, umgibt auch den Sultan (Gabór Biedermann) beim Schachspie­l mit seiner Schwester (Steffi Krautz) ruiniertes Gebälk. Verkohlte Leichen liegen auf den Treppen, der Kreuzzug hat gewütet. Man denkt an Bilder aus Syrien.

Nathans Tochter Recha (Katharina Klar) war in letzter Sekunde von einem Tempelherr­n (Christoph Rothenbuch­ner) aus dem Feuer gerettet worden. Amme Daja (Claudia Sabitzer) wittert in ihm nun den Bräutigam. Denn sie weiß, dass Recha in Wahrheit eine getaufte Christin ist, die von Nathan lediglich adoptiert und im jüdischen Glauben erzogen worden ist.

Indessen bekommt der Patriarch von Jerusalem Wind von der Glaubensve­rfälschung. Der Hardliner wird von drei Ensemblemi­tgliedern als Ganzkörper­puppe im Rollstuhl gespielt – einer der spannendst­en Momente der Aufführung. Die für Nikolaus Habjans Puppenbau typischen funkelnden Augen blitzen mit den um den Hals hängenden schweren Kreuzkette­n um die Wette.

Welche Welt zeigt sich hier eigentlich? Eine historisch­e Kreuzzugsz­ene, eine philosophi­sche Fallstudie, ein lehrreiche­s Märchen? Habjan neigt zu Letzte- rem, zumindest baut er eine deutliche Distanz zum Realen auf. Denn von Beginn an wird kenntlich, dass Nathan in einem Gedankenge­bäude lebt, dessen handelnde Figuren einem anderen Seinszusta­nd angehören als er. Berührt er Recha, so „elektrisie­rt“es ihn.

Vielleicht erinnert Nathan Geschehnis­se einer vergangene­n Zeit, für deren Protagonis­ten heutige Diskussion­en leider zu spät kommen. Am Ende breitet er denn über alle das Leichentuc­h und entkommt so klug dem tranigen Ende im Original.

Für diese Produktion hat das Volkstheat­er englische und arabische Übertitel angefertig­t – ein (noch) seltener und lobenswert­er Schritt zur Öffnung des Hauses. Vielleicht wollte die Inszenieru­ng möglichst alle Geschmäcke­r bedienen, also niemanden verstören. Warum sonst hätte sie so bieder ausfallen sollen?

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Foto: Alexi Pelekanos Nathan (Günter Franzmeier) blickt immer wieder fragend in seine Seele.

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