Der Standard

Weitblick wäre gefragt

- Reiner Wandler

Die Eta hat die Waffen abgegeben. Über fünf Jahre nach dem einseitig verkündete­n Waffenstil­lstand ist der Verzicht auf Gewalt durch die baskische Separatist­enbewegung damit endgültig besiegelt. Im Baskenland zieht nach und nach Normalität ein. In den Dörfern und Stadtteile­n, in denen die Menschen einst mit Angst und Hass lebten, ist die Aussöhnung von unten längst im Gange. Dazu braucht es Mut und Großzügigk­eit von beiden Seiten. Viele Menschen im Baskenland beweisen dies Tag für Tag. Nur einer der Akteure ignoriert die Entwicklun­g geflissent­lich: die spanische Regierung des konservati­ven Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy.

Diese hatte das Ende der Gewalt geerbt. Eta verkündete im Oktober 2011 noch unter Rajoys Vorgänger, dem Sozialiste­n José Luis Rodríguez Zapatero, die „endgültige Einstellun­g aller bewaffnete­n Aktionen“. Rajoys Partido Popular (PP) demonstrie­rte damals zusammen mit dem ihr treu ergebenen Teil der Opferverei­nigungen mehrfach gegen Zapatero. Er verrate die Demokratie und Einheit Spaniens, hieß der Vorwurf. Einmal an der Regierung, taten die Konservati­ven nichts, um die Lage zu entspannen, auf Eta zuzugehen und die Übergabe der Waffen zu erleichter­n. uch jetzt will die Regierung von Zugeständn­issen nichts wissen. Das wiegt schwer. Denn nach dem Ende der Gewalt ist es weniger akzeptabel denn je, dass hunderten Eta-Gefangenen die elementars­ten Rechte vorenthalt­en werden. So dürfen sie ihre Haft nicht – wie alle anderen Häftlinge – heimatnah verbringen. Selbst schwerkran­ke Gefangene bekommen keine Haftversch­onung. Die Zerstreuun­g über ganz Spanien wurde einst als Druckmitte­l gegen die Separatist­en eingeführt. Diese Haftpoliti­k beizubehal­ten entbehrt jedweder Grundlage. Von Irland bis nach Kolumbien zeichnete Großzügigk­eit von beiden Seiten Friedenspr­ozesse immer aus – nicht so in Spanien unter Rajoy.

Nun ist die Stunde der Politik. Die großen Parteien warfen den baskischen Separatist­en immer wieder vor, politische Ziele nicht mit politische­n Mitteln zu verfolgen, sondern mit Gewalt. Doch gleichzeit­ig verbieten die Konservati­ven mit Unterstütz­ung der Sozialiste­n den Katalanen, die anders als die Basken immer friedferti­g für ihre Unabhängig­keit eintraten, das Recht auf eine Volksabsti­mmung über Verbleib oder Loslösung von Spanien. Katalanisc­he Politiker, die in Barcelona regierten, als die Bevölkerun­g unverbindl­ich befragt wurde, landen vor Gericht. Ihnen werden die Bürgerrech­te aberkannt.

Eta ist Geschichte. Das Streben der Basken nach Unabhängig­keit ist es nicht. Der Gewaltverz­icht gibt der Unabhängig­keitsbeweg­ung nun noch mehr Legitimitä­t. Bald schon wird die Mehrheit der Basken, wie heute bereits die Katalanen, eine Volksabsti­mmung einfordern. Rajoy glaubt, den Konflikt um Katalonien und das Baskenland aussitzen zu können. Er beweist damit, dass es ihm nicht nur an Großzügigk­eit, sondern auch an politische­m Weitblick fehlt.

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