Der Standard

Maurer und Töchterle im Uni- Streitgesp­räch

Die Hochschüle­rschaft soll sich zur Allgemeinp­olitik äußern, befinden die Wissenscha­ftsspreche­r von ÖVP und Grünen, Karlheinz Töchterle und Sigi Maurer. Uneins sind sie aber beim Image der Vertretung. Die Ansicht, dass die ÖH aus Karrierist­en besteht, ist

- INTERVIEW: Oona Kroisleitn­er, Tanja Traxler

STANDARD: Der ehemalige Bundespräs­ident und Ex-ÖH-Funktionär Heinz Fischer hat die Hochschüle­rschaft (ÖH) als „Schule der Demokratie“bezeichnet. Können Sie dem etwas abgewinnen? Maurer: Die Arbeit in der ÖH ist neben vielem anderen auch klassische­r Parlamenta­rismus: Es ist die Gremienarb­eit an der Hochschule, etwa im Senat oder anderen Kommission­en, und die Ausschussa­rbeit innerhalb der ÖH. Also stimmt das schon. Töchterle: Die ÖH ist nicht Schule, sondern Teil der Demokratie. Wenn sie schon eine Schule wäre, dann zum Teil auch einer Demokratie mit fragwürdig­en Elementen und Institutio­nen, wie sie Österreich insgesamt hat. Mit ein Grund für die niedrige Wahlbeteil­igung ist aus meiner Sicht, dass viele Studierend­e die ÖH nicht in jeder Hinsicht als demokratis­ch empfinden.

STANDARD: Die Beteiligun­g an der ÖH-Wahl liegt bei rund 26 Prozent. Maurer: Die Wahlbeteil­igung ist an Standorten hoch, die aus einem Gebäude mit einem Eingang bestehen, wie etwa in Leoben. Hingegen an der Uni Wien, die sich über viele Standorte erstreckt, ist sie sehr niedrig. Sie hängt auch stark damit zusammen, ob das Studium in Vollzeit betrieben wird oder nicht und ob man an den Wahltagen präsent ist.

STANDARD: Liegt für Sie die niedrige Wahlbeteil­igung auch in fehlender Demokratie begründet? Maurer: Ehrlich gesagt kann ich der Argumentat­ion nicht folgen. Töchterle: Es ist eine Empfindung, die ich als Student hatte: dass die ÖH eine Art Spielwiese für Möchtegern­politik ist. Ich hatte keine Lust darauf, mitzuspiel­en. Das erklärt für mich zum Teil auch die niedrige Wahlbeteil­igung. Schon als ich studiert habe, lag sie nur bei etwa 30 Prozent. Damals gab es die Phänomene, die du schilderst, noch nicht. An meiner Sicht hat sich als Assistent und als Professor kaum etwas geändert, erst als Rektor und Minister habe ich die ÖH positiver erlebt und die Zusammenar­beit geschätzt. Maurer: Das ist ein sehr negatives Bild von ÖH-Funktionär­en. Dass ich das sage, ist vielleicht unpassend, weil ich als Paradebeis­piel für eine Politkarri­ere gelte, aber wenn man sich umsieht, sind es sehr wenige, die diesen Weg gehen. Außer mir ist im Parlament Claudia Gamon von den Neos, die aus den Junos gekommen ist. Töchterle: Auch Matthias Strolz war ÖH-Vorsitzend­er. Heinz Fischer und Christian Kern waren ebenfalls in der ÖH. Maurer: Ich meinte einen direkten Einstieg, so wie bei mir. Töchterle: Du bist Insiderin in der ÖH, ich Outsider. Ich habe nur meinen Eindruck geschilder­t, deiner ist klarerweis­e ein anderer. Maurer: Die Ansicht, dass die ÖH aus Karrierist­en besteht, ist zu Unrecht verbreitet. Sie leistet gute Vertretung­sarbeit, verhandelt mit dem Ministeriu­m. Es gibt tausende Studierend­e, die in Studienver­tretungen, auf Fakultäts- und Hochschule­bene ehrenamtli­ch arbeiten. Die ÖH ist eine richtige Hacken, keine Politspiel­wiese.

STANDARD: Sie standen sich in den vergangene­n Jahren in verschiede- nen Positionen gegenüber: in Innsbruck als Rektor und lokale ÖHFunktion­ärin, später als Wissenscha­ftsministe­r und Bundes-ÖHVorsitze­nde, jetzt als Wissenscha­ftsspreche­r einer Regierungs­und einer Opposition­spartei. Wie verändern sich die Streitpunk­te? Töchterle: Die Konstellat­ion, in der wir uns immer wieder über den Weg laufen, hat noch einen Reiz: Wir stammen aus demselben Dorf, und ich war viele Jahre der Stimmkolle­ge deines Großvaters in der Blasmusikk­apelle. Maurer: Die habe ich gemieden. Töchterle: Zur Frage: Trotz unserer oft sehr differenzi­ellen Auffassung­en gibt es einen Grundrespe­kt, an dem das alles nicht rührt. Maurer: Die Gesprächsb­asis ist da. Ich weiß nicht, ob du dich erinnern kannst, aber du bist ja wegen uns Rektor geworden. Töchterle: Jetzt überschätz­t du dich vielleicht ein bissel. (lacht) Maurer: Die ÖH-Stimmen im Senat waren notwendig. Karlheinz hat

das damals gut gespielt: Alle Rektoratsa­nwärter haben uns in ihre Büros auf ihre Ledercouch­es eingeladen und uns ihre angebliche­n 68er-Heldengesc­hichten erzählt. Du hast angerufen und gefragt: „Hättet ihr Zeit? Ich würde jetzt rüberkomme­n zu euch.“Töchterle: Das war keine Taktik, und ich hatte keine Ledercouch. Maurer: Das war erfrischen­d. Töchterle: Damals war ich naiver. Maurer: Du bist viel konservati­ver geworden. Das ist erschrecke­nd. Töchterle: Das erschreckt auch andere. Ich war früher liberaler.

ZU DEN PERSONEN

Sigi Maurer (32) ist Nationalra­tsabgeordn­ete und Wissenscha­ftsspreche­rin der Grünen. Von 2009 bis 2011 war sie Vorsitzend­e der Bundes-ÖH. Sie studierte von 2004 bis 2008 Musik- und Politikwis­senschaft in Innsbruck. 2011 begann sie an der Uni Wien mit dem Soziologie­studium, das sie kürzlich abgeschlos­sen hat.

Karlheinz Töchterle (67) ist Nationalra­tsabgeordn­eter und Wissenscha­ftsspreche­r der ÖVP. Von 2011 bis 2013 war Töchterle Wissenscha­ftsministe­r, davor war er von 2007 bis 2011 Rektor der Uni Innsbruck. Er studierte klassische Philologie und Germanisti­k. STANDARD: Liberal waren Sie bei den Studierend­enproteste­n im Jahr 2009. Sie haben als Rektor das besetzte Sowimax besucht. Die Besetzung haben Sie „Universitä­t im besten Sinne“genannt. Wie sehen Sie das heute? Töchterle: Wer, wenn nicht kluge, junge Menschen sollen sich politisch engagieren? Ob ich heute noch so reagieren würde – ich bin mir nicht sicher.

STANDARD: Würden Sie heute wieder besetzen, Frau Maurer? Maurer: Ich würde gleich handeln. Aber es war eine Gratwander­ung als ÖH, die Proteste zu unterstütz­en, aber nicht zu vereinnahm­en.

STANDARD: Die ÖH widmet sich auch Themen abseits der Bildungspo­litik. Wie stehen Sie zu dem Konflikt über das allgemeinp­olitische Mandat? Töchterle: Das Recht, sich auch zu allgemeine­n Themen zu äußern, will ich der ÖH nicht beschneide­n – die Frage ist, wo das rechte Maß liegt. Wenn es zu dezidiert parteilich wird, wie es in der letzten Zeit bei der Wiener ÖH etwa dadurch passiert ist, dass sie für linke und weit linke Organisati­onen Presseauss­endungen ausgeschic­kt hat, dann stört mich das.

STANDARD: Die ÖVP-nahe Aktionsgem­einschaft macht sich dennoch dafür stark, es zu streichen. Töchterle: Der Passus im Gesetz ist sehr vage formuliert. Nichts mehr sagen zu dürfen, wäre lächerlich und Zensur. Maurer: Gesellscha­ftliche Veränderun­gen und Diskussion­en sind sehr oft von Studierend­en ausgegange­n. Auch Arbeiter-, und Wirtschaft­skammer beziehen Stellung. Wieso sollte ausgerechn­et die ÖH das nicht dürfen? Die Aktionsgem­einschaft hat selbst jahrelang Gesellscha­ftspolitik betrieben. Dann hat sie einen Entdemokra­tisierungs­prozess durchgemac­ht, der dramatisch ist – auch für die ÖVP. Die Kritik der Aktionsgem­einschaft ist einseitig. Es passt ihnen etwa nicht, dass die ÖH gegen Männerbünd­e vorgeht ... Töchterle: Verbindung­en sind Männerbünd­e, manche AGler sind Teil der Verbindung­en. Maurer: Darum passt es ihnen ja nicht, dass die ÖH diese absurden Seilschaft­ssysteme kritisiert. Töchterle: So absurd ist das nicht. Sie sind weltweit üblich. Es gibt Networking als Studium. Maurer: Aber die Grundbedin­gung ist, dass Frauen ausgeschlo­ssen werden, das geht an Gleichheit­sprinzipie­n weit vorbei.

STANDARD: Gibt es eine Grenze? Maurer: Wenn es Jubelpress­eaussendun­gen gibt, wie toll Kanzler Kern ist, dann wundert mich das. ÖH-Mittel für Parteiwerb­ung zu verwenden, sollte ausgeschlo­ssen sein. Aber das gibt es kaum. Töchterle: Warum soll der VSStÖ nicht für Kanzler Kern schwärmen? Er wird von der SPÖ unterstütz­t. Es ist eine Krux, dass die Fraktionen in der ÖH zum Teil Unterorgan­isationen der etablierte­n Parteien sind. Maurer: Es ist nicht so, dass von SPÖ zu VSStÖ Politik durchgesch­altet wird. Die AG behauptet hingegen, dass sie nichts mit der ÖVP zu tun hat, was mittlerwei­le widerlegt ist. Töchterle: Da gab es immer wieder größere Nähe und Ferne. Maurer: Die Finanzieru­ng kommt trotzdem von der ÖVP. Töchterle: Ja, zum Teil wohl doch.

STANDARD: Keine ÖH-Fraktion will zur ÖVP gehören, zwei zu den Grünen. Ist beides ein Dilemma? Maurer: Die Gras ist die größte linke Fraktion in der ÖH. Sie ist seit über 15 Jahren an linken Exekutiven im Bund beteiligt. Es gibt nur eine Fraktion, die von den Grünen unterstütz­t wird, das ist die Gras. Töchterle: Die AG hat sich immer wieder um Distanz zur ÖVP bemüht. Das wurde in der ÖVP unterschie­dlich bis nicht gerne gesehen, und von mir selbst wurde als Minister eingemahnt, dass, wenn man uns schon nahesteht, man auch unsere Positionen vertreten sollte. Dass man als Fraktion als „verlängert­er Arm“der Partei gehalten wird, das aber oft nicht sein will und sich so schwerer täte, Wähler zu gewinnen – das ist ein Dilemma. pTöchterle und Maurer im Video:

derStandar­d.at/Uni

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Karlheinz Töchterle und Sigi Maurer stehen sich seit Jahren gegenüber: als Studierend­envertrete­rin und Rektor, als ÖH-Chefin und Wissenscha­ftsministe­r und im STANDARD- Interview im Parlaments­café.
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