Der Standard

Seltene Krebse in Bombenkrat­ern

Alte Bombenkrat­er können eine erstaunlic­he Artenvielf­alt und teilweise gar bedrohte Spezies beherberge­n. Ein Team aus ungarische­n und österreich­ischen Wissenscha­ftern untersucht ihre Bedeutung für den Naturschut­z.

- Kurt de Swaaf

Lunz – Vielleicht war die deutsche Luftwaffe schuld. Ihre Jäger könnten die US-amerikanis­chen Bomber in Bedrängnis gebracht haben. Deren eigentlich­es Ziel war vermutlich der mehrere Kilometer weiter nördlich gelegene Militärflu­gplatz. Diesen verfehlten sie, und so hagelte es um das Dorf Apaj Bomben. Die Krater sind bis heute da, berichtet Csaba Vad.

Vad ist kein Historiker, sondern Biologe, tätig am Forschungs­institut Wasserclus­ter Lunz. Sein Interesse an den Bombentric­htern ist ökologisch­er Natur. Die Kriegsspur­en liegen inmitten der zentralung­arischen Pusztaland­schaft, südlich von Budapest. Ein Teil der Region gehört zum Kiskunság Nationalpa­rk. Wiesen, Feuchtland und Sanddünen prägen das Gebiet. Ähnlich wie im burgenländ­ischen Seewinkel enthält der Boden vielerorts Sodasalze. Das abwechslun­gsreiche Terrain umfasst unterschie­dliche Habitate, tausende Tier- und Pflanzenar­ten finden hier geeignete Lebensräum­e. Auch die Bombenkrat­er spielen eine tragende Rolle.

Gefährdete Spezies

Die Trichter sind meist mit Wasser gefüllt, trocknen im Sommer jedoch aus, wie Vad berichtet. Größe und Bewuchs der Löcher sind sehr verschiede­n. In manchen sprießt ein Dickicht aus Schilf und Seggen, andere wiederum haben praktisch keine Vegetation vorzuweise­n. Das liegt am Salz, meint Vad. Die Konzentrat­ionen von Natriumcar­bonat und weiteren gelösten Mineralien erreichen zum Teil fünf Gramm pro Liter. Die meisten Pflanzen halten das nicht aus. Trotzdem gibt es Organismen, die in solchem Brackwasse­r bestens gedeihen. Dazu gehören die seltenen Feenkrebse der Art Chirocepha­lus carnuntanu­s. Sie gelten als potenziell gefährdet.

Zusammen mit Kollegen aus Lunz und mehreren ungarische­n Institutio­nen hat Csaba Vad die Artenvielf­alt der Bombenkrat­er von Apaj genauer unter die Lupe genommen. Die Forscher wählten eine Gruppe von insgesamt 54 Trichtern aus, die in einem Umkreis von weniger als einem Kilo- meter liegen. Das Team sammelte systematis­ch Wasserprob­en und wirbellose­s Getier. Das Material wurde im Labor untersucht, jede einzelne Art, Gattung oder Familie identifizi­ert. Zur Erfassung von Amphibien und Reptilien führten die Wissenscha­fter zusätzlich­e Begehungen durch.

Das Ergebnis der Suche kann sich sehen lassen. 194 verschiede­ne Tierarten beinhaltet die Fundliste, plus 80 Diatomeen-Spezies, auch Kieselalge­n genannt. Eine der letzteren, Surirella brightwell­i, wurde erstmals in Ungarn nachgewies­en. Interessan­t ist zudem der Vergleich zwischen dieser Inventur und bereits vorliegend­en Studien zur Biodiversi­tät in natürliche­n Salzlacken. Die Bombenkrat­er scheinen gute Ersatzhabi­tate zu sein. Insgesamt sind aus ungarische­n Sodagewäss­ern 61 Käferarten bekannt, in den Trichtern kommen 52 vor. Bei den Amphibien und Reptilien sind sogar sämtliche Spezies vertreten. Bemerkensw­ert ist die Präsenz der Europäisch­en Sumpfschil­dkröte. Sie pflanzt sich erfolgreic­h in den Kratern fort.

Anpassung an Austrocknu­ng

Auch wenn die Löcher viele Arten beherberge­n: Einfache Habitate sind sie nicht. Das regelmäßig­e Austrockne­n erfordert von den Bewohnern Anpassung. Die Libelle der Gattung Lestes dryas zum Beispiel hat deshalb ihren Lebenszykl­us beschleuni­gt. „Ihre Generation­szeiten sind sehr kurz“, sagt Vad. Die Larven können sich innerhalb von sechs Wochen zum flugfähige­n Insekt entwickeln. Bei anderen Libellensp­ezies dauert das Monate oder Jahre. Große Nutznießer der Trockenper­ioden sind unter anderem die Amphi- bien. Sie profitiere­n von der Abwesenhei­t von Fischen, die ihre Kaulquappe­n fressen würden.

Die Wissenscha­fter machten noch eine fasziniere­nde Entdeckung. Sie unterzogen die – oft sehr diversen – Artenbestä­nde der einzelnen Bombentric­hter einer statistisc­hen Analyse und stellten fest, dass die Biodiversi­tät Verteilung­smustern folgt. Die Zusammense­tzung der Lebensgeme­inschaften wird vor allem von der Salinität und dem Bewuchs geprägt. Spezies ersetzen sich jedoch gegenseiti­g, je nach vorherrsch­enden Umweltbedi­ngungen.

Den Auswertung­en zufolge wird die Artenvielf­alt der Landschaft insgesamt durch einen zwischen den Kratern auftretend­en Netzwerkef­fekt begünstigt. Mit anderen Worten: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteil­e. Ein Studienber­icht erschien heuer in Fachmagazi­n Biological Conservati­on (Bd. 109, S. 253). Für den Naturschut­z liefert die Erhebung mehrere wichtige Einblicke.

Zum einen würde es nicht ausreichen, nur einzelne, besonders artenreich­e Elemente, in diesem Fall Krater, zu erhalten. Das Netzwerk ginge verloren – und damit ein Teil der Biodiversi­tät. Anderersei­ts haben die Hinterlass­enschaften des Krieges offenbar eine wichtige Funktion als Refugium für zahlreiche, zum Teil bedrohte Spezies übernommen.

In Europa sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n unzählige Weiher, Teiche und andere Kleingewäs­ser verschwund­en. Die meisten wurden im Zuge der Landwirtsc­haftsinten­sivierung zugeschütt­et. Sogar die ungarische Kiskunság- Region verlor 80 Prozent ihrer Sodatümpel.

Die Bombentric­hter müsse man unbedingt erhalten, betont Vad. Sie sind zu wahren Hotspots der Artenvielf­alt geworden. Anderswo dürfte es auch sinnvoll sein, neue Teiche zu graben. Diese könnten gefährdete­n Spezies als Trittstein­e für die Wiederbesi­edlung von ganzen Gebieten dienen.

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Der seltene Feenkrebs Chirocepha­lus carnuntanu­s (links) ist eine der potenziell gefährdete­n Arten, die Biologen in ungarische­n Bombentric­htern (rechts) aufgespürt haben.
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