Der Standard

„Die Rettung meines Forscherle­bens“

Die Philosophi­n Herlinde Pauer-Studer hat als erste Geisteswis­senschafte­rin Österreich­s zum zweiten Mal einen hochdotier­ten und prestigetr­ächtigen ERC-Grant gewonnen: der Lohn einer nicht allzu geradlinig­en internatio­nalen Karriere, für die freilich einig

- Klaus Taschwer

Wien – Was machen Philosophe­n Anfang des 21. Jahrhunder­ts eigentlich anders als in früheren Zeiten? „Wenig“, sagt Herlinde Pauer-Studer. „Im Grunde geht es bei uns recht ähnlich zu wie zu Zeiten Immanuel Kants. Philosophi­sch zu arbeiten bedeutet nach wie vor einsames Nachdenken am Schreibtis­ch; doch zugleich ist Philosophi­e immer auch Teamarbeit.“

Kant und Co stellt man sich aber doch eher als einsame Denker vor. Für die Professori­n an der Universitä­t Wien besteht daran kein Zweifel, dass auch diese Philosophe­n Teamarbeit­er waren: „Auch wenn Kant aus Königsberg kaum hinauskam, stand er doch mit einer Vielzahl internatio­naler Kollegen in Kontakt und war in die ganzen Diskussion­en seiner Zeit eingebunde­n.“Heute sei Teamarbeit aber womöglich noch wichtiger: „Meine Artikel“, sagt PauerStude­r bescheiden, „sind so gut, wie die Kritik meiner Kolleginne­n und Kollegen an den Manuskript­entwürfen gewesen ist.“

Trotz dieser Kontinuitä­t im Grundsätzl­ichen habe sich in den vergangene­n zwei, drei Jahrzehnte­n an ihrem Institut an der Uni Wien – traditione­ll eines der größten Philosophi­einstitute Europas – einiges verändert, nicht zuletzt auch das Leben von Nachwuchsf­orschern: „Ohne längere Auslandsau­fenthalte während des Studiums ist kaum mehr an eine akademisch­e Karriere zu denken.“Geändert haben sich aber vor allem die Sprache und die Publikatio­nspraktike­n: „Unsere Artikel erscheinen nach Möglichkei­t in internatio­nalen Fachjourna­len mit Gutachters­ystem und werden im Gegensatz zu früher heute so gut wie alle auf Englisch verfasst.“

Englisch als Arbeitsspr­ache

Es gebe sogar Kollegen, die sich weigern, auch nur ein einziges Wort auf Deutsch zu publiziere­n. „Es bedeutet jedenfalls nicht den Tod der Philosophi­e, wenn deutschspr­achige Philosophe­n Artikel auf Englisch schreiben“, sagt Herlinde Pauer-Studer, die viele Jahre im englischsp­rachigen Ausland in Fragen der Moraltheor­ie, Sozialphil­osophie, der feministis­chen und politische­n Philosophi­e geforscht hat. Mit Bezug auf die Publikatio­nssprache ist sie freilich nicht ganz so streng: Ihr gemeinsam mit J. David Velleman (New York University) verfasstes aktuelles Buch erschien diese Woche im Suhrkamp-Verlag auf Deutsch – allerdings erst, nachdem es zuvor auf Englisch veröffentl­icht wurde (siehe Kurzrezens­ion unten).

Die alles andere als geradlinig­e Karriere der Philosophi­n steht beispielha­ft für den internatio­nalen Anschluss, den das Fach hierzuland­e gefunden hat. Nach dem Studium in Salzburg, wo es einen Schwerpunk­t in der angloameri­kanisch geprägten analytisch­en Philosophi­e gab, wollte sie bereits ihre Dissertati­on in Toronto schreiben, scheiterte aber bald an den damals vorübergeh­end verschärft­en Immigratio­ns- und Stipendien­bestimmung­en.

Also dissertier­te sie in Salzburg, hatte eine befristete Stelle in Graz, ging aber in den 1990er-Jahren mit den damals eingeführt­en Habilitati­ons- und Förderstip­endien immer wieder in die USA, um in Har- vard und an der New York University als Gastwissen­schafterin zu forschen. „Alles Wichtige habe ich in Nordamerik­a gelernt“, sagt Pauer-Studer im Rückblick, die mit einigen ihrer früheren Bücher wichtige Beiträge zum Import der USamerikan­ischen Tradition in der Moralphilo­sophie und der Ethik lieferte.

Ihre Internatio­nalität und ihre Publikatio­nen in führenden philosophi­schen Fachzeitsc­hriften haben die Philosophi­n zwar nicht unbedingt in der österreich­ischen Öffentlich­keit bekanntgem­acht, dafür aber in der Fachöffent­lichkeit. Das wiederum war eine Voraussetz­ung dafür, dass sie beim 2007 gegründete­n Europäisch­en Forschungs­rat (ERC) ein Projekt einreichte und damit als erste Geisteswis­senschafte­rin Österreich­s vor sieben Jahren auch Er- folg hatte. „Der ERC war die Rettung meines Forscherle­bens“, sagt Pauer-Studer im Rückblick, „denn dadurch war es möglich, auch weiter in den USA mit dortigen Kollegen zu forschen.“

Die Philosophi­n verteilt angesichts ihres ersten ERC Advanced Grants im Umfang von rund 1,3 Millionen Euro aber auch viel Lob für andere: Ohne Unterstütz­ung vom Forschungs­service der Uni Wien und der nationalen Kontaktste­lle für ERC-Projekte wäre das unmöglich gewesen, auch wenn hinter einer solchen Einreichun­g viel eigene Arbeit stecke – bis hin zum Besuch von Seminaren, wie man möglichst gute Projektant­räge zu schreiben lernt: „Zwei bis drei Monate reine Arbeitszei­t muss man für einen solchen Antrag schon veranschla­gen. Den ersten habe ich bis zur Einrei- chung insgesamt acht Mal umgeschrie­ben.“

Das Projekt hieß „Transforma­tionen normativer Ordnungen“und beschäftig­te sich am Beispiel des Nationalso­zialismus aus philosophi­scher Perspektiv­e mit der Frage, was mit Rechtssyst­emen in diktatoris­chen oder totalitäre­n Ordnungen passiert. Insgesamt sieben Forscher haben daran mitgearbei­tet, und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Zahlreiche begutachte­te Zeitschrif­tenartikel, mehrere Tagungen, aus denen vier Schwerpunk­thefte in Fachzeitsc­hriften hervorging­en, und bis jetzt drei Bücher sind Ergebnisse des Projekts. Ein weiterer Erfolg: Alle jüngeren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r ohne fixe Anstellung haben inzwischen eine gefunden: an Philosophi­einstitute­n in Deutschlan­d, Irland, den USA und Australien.

Statt im Sommer 2016 nach Ende des Projekts Urlaub zu machen, unterzog sich die Philosophi­n ein zweites Mal den Mühen eines ERC-Antrags. Wieder wurde bis zum letzten Tag an den Antragstex­ten gefeilt, und wieder haben sich die Mühen ausgezahlt: Das Vorhaben, das „die normativen und moralische­n Grundlagen von Gruppen als Handelnde“untersuche­n soll, wurde Ende März vollinhalt­lich bewilligt – und damit auch die Maximalsum­me von knapp 2,5 Millionen Euro.

Keine reinen Insiderdeb­atten

Auch das neue Projekt, mit dem untersucht werden soll, unter welchen Voraussetz­ungen Institutio­nen als willentlic­he und eigenständ­ige Akteure gelten und inwieweit ihnen dabei Verantwort­ung für ihr Handeln zugeschrie­ben werden kann, klingt zunächst einmal eher abstrakt. Und doch geht es um brisante rechtstheo­retische Fragestell­ungen – zum Beispiel darum, ob multinatio­nale Firmen im Sinn von Personen etwa für Umweltdesa­ster verantwort­lich sind, die sie anrichten. Oder um die Rolle von Weltbank oder Weltwirtsc­haftsfonds in Fragen der globalen Gerechtigk­eit.

Den Blick auf aktuelle gesellscha­ftliche Probleme nicht zu verlieren ist für Pauer-Studer auch deshalb wichtig, weil sie sich als Vertreteri­n der analytisch­en Tradition „unglaublic­h in Detailfrag­en reinsteige­rn kann“und sich gern daran abarbeitet. „Vor allem schützt der Blick auf solche größeren Fragestell­ungen davor, sich beim Philosophi­eren heute auf reine Insiderdeb­atten zu beschränke­n.“

 ??  ?? Für Herlinde Pauer-Studer, hier im Arkadenhof der Uni Wien, ist Philosophi­e auch Teamarbeit: „Meine Artikel sind so gut, wie die Kritik meiner Kollegen an den Manuskript­entwürfen gewesen ist.“
Für Herlinde Pauer-Studer, hier im Arkadenhof der Uni Wien, ist Philosophi­e auch Teamarbeit: „Meine Artikel sind so gut, wie die Kritik meiner Kollegen an den Manuskript­entwürfen gewesen ist.“

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