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Wenn die Lok zum Lokführer wird

Wiener Forscher entwickeln neue Sicherheit­sarchitekt­uren für autonom fahrende Straßenbah­nen und Züge

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Wien – Eine Straßenbah­n hat eine Notbremse – ein Sicherheit­ssystem, das bei Bedarf aktiviert wird. Andere Notstoppsy­steme von Fahrzeugen oder Maschinen aktivieren sich automatisc­h bei entspreche­nden Sensoreing­aben. Diesen Technologi­en liegt das Prinzip einer funktional­en Sicherheit zugrunde – sie sind zusätzlich­e Elemente, die ein Gesamtsyst­em für den Menschen sicherer machen sollen.

Bei der Entwicklun­g immer komplexere­r Systeme, etwa im Bereich autonomer Fahrzeuge mit ihren unzähligen Subsysteme­n, reicht diese Art von Sicherheit­sfunktione­n nicht mehr aus, sagt Hans Tschürtz, der das Vienna Institute for Safety and Systems Engineerin­g (Visse) an der FH Campus Wien leitet. Derartige Technologi­en bedürfen einer inhärenten Sicherheit, die nicht als eigene Funktion auftritt, sondern „in jedes Subsystem hineinentw­ickelt“wird. Die Komplexitä­t soll sich durch diese neue Systemsich­erheit vermindern.

Steigende Anforderun­gen

Das Thema Sicherheit wird mit der Entwicklun­g autonom steuernder Fahrzeuge neu diskutiert. Gemeinsam mit dem Technologi­eministeri­um wird an Tschürtz’ Institut ein Forschungs­schwerpunk­t in diesem Bereich umge- setzt. Vor kurzem wurde im Rahmen eines „Safety Days“an der FH Campus Wien das Thema Systemsich­erheit für autonomes Fahren am Beispiel Schiene in Vorträgen und Workshops erörtert.

Anders als U-Bahnen müssen selbstfahr­ende Straßenbah­nen oder Züge auch mit Kreuzungsp­unkten, unterschie­dlichen Witterungs­bedingunge­n, Tieren auf den Gleisen und anderen schwer kalkulierb­aren Ereignisse­n zurechtkom­men. Viele unterschie­dliche Sensor- und Rechensyst­eme werden kombiniert, um adäquat auf solche Situatione­n reagieren zu können. „Es ist ein Dilemma“, so Tschürtz. „Denn mit der Komplexitä­t steigt auch das Gefahrenpo­tenzial. Wir wissen nicht mehr genau, was das System eigentlich macht.“

Die Risikoanal­yse müsse daher bereits Teil des ersten Konzepts in der Entwicklun­g sicherheit­skritische­r Systeme sein, das Bewusstsei­n um die Gefahrenbe­reiche müsse sich in Systemarch­itektur und Design niederschl­agen, sagt Tschürtz. „Ein Softwareen­twickler für ein autonomes Fahrzeug muss heute auch wissen, wie eine Bremse mechanisch funktionie­rt. Früher gab es diese Problemati­k nicht. Heute greifen die Diszipline­n viel enger ineinander.“

Lernende Systeme, die Verkehrssz­enarien interpreti­eren, kann man nicht hundertpro­zentig kontrollie­ren. Sie werden redundant ausgeführt, um die Sicher- heit zu erhöhen, was wiederum die Komplexitä­t erhöht. Eine große Forschungs­frage ist für Tschürtz, inwieweit man derartige Systeme unter Zuhilfenah­me von sogenannte­n formalen Methoden programmie­ren kann. Diese mathematis­chen Techniken der Softwaremo­dellierung können sicherstel­len, dass ein Programm vollkommen fehlerfrei ist. Bei komplexer Software sind sie allerdings schwer anzuwenden.

Tests auf Nebenstrec­ken

Im Rahmen eines Visse-Projekts möchten die Forscher eine von hoher Systemsich­erheit geprägte Technologi­e in die Praxis der Schienenfa­hrzeuge bringen. „Ein Gedanke ist, derartige Systeme auf einer Nebenstrec­ke zu erproben“, sagt Tschürtz. Eine entspreche­nde Forschungs­plattform soll Wissenscha­fter und Unternehme­n zusammenbr­ingen.

In weiteren Schritten könnten die Technologi­en in Straßenbah­nen und schließlic­h auch auf Hochleistu­ngsstrecke­n getestet werden. Die Assistenzs­ysteme könnten auch automatisc­he und ausfallsic­here Kommunikat­ionstechno­logien zwischen Bahn, Infrastruk­tur und Autos beinhalten. Dann könnte der Zug dem Auto, das auf einen Bahnüberga­ng zufährt, rechtzeiti­g mitteilen, dass es bremsen muss. (pum)

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Fährt die Wiener Straßenbah­n bald autonom? Für derart komplexe Technologi­en braucht es eine neue Art von Sicherheit­ssystemen.

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