Der Standard

Geburt eines vielverspr­echenden Sorgenkind­es

Am 16. April 1943 entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann die halluzinog­ene Wirkung von LSD – am eigenen Leib. Als Droge wurde das Derivat kriminalis­iert, als Therapeuti­kum beschäftig­t es die Forschung bis heute.

- David Rennert

Wien – Es war, so erinnerte sich Albert Hofmann später, eine „merkwürdig­e Ahnung“, den Stoff unterschät­zt zu haben, die ihn im Frühjahr 1943 erfasste. Er entschied sich, das Derivat doch noch einmal herzustell­en. Fünf Jahre zuvor hatte er Lysergsäur­ediethylam­id (kurz: LSD-25) in einem Labor des Pharmakonz­erns Sandoz in Basel erstmals synthetisi­ert, doch dann nicht mehr weiter damit gearbeitet.

Der Chemiker hatte sich im Rahmen seiner Forschung am Mutterkorn­pilz (Claviceps purpurea) die toxischen Alkaloide dieses gefährlich­en landwirtsc­haftlichen Schädlings vorgenomme­n. Seit dem 17. Jahrhunder­t wurde Mutterkorn in der Volksmediz­in verwendet – vor allem in der Geburtshil­fe, da einige Inhaltssto­ffe starke Wehen auslösen.

Auf der Suche nach neuen Anwendunge­n war Hofmann 1938 auf LSD-25 gestoßen und hatte eine kreislaufs­timulieren­de Wirkung vermutet. Doch eine Prüfung durch die pharmakolo­gische Abteilung des Unternehme­ns hatte keine vielverspr­echenden Eigenschaf­ten ergeben, die Tests wurden eingestell­t. Hofmann forschte in eine andere Richtung weiter – bis er sich am Freitag, dem 16. April 1943, abermals an die LSD-Synthese machte.

Dabei geschah etwas Unvorherge­sehenes: Plötzlich auftretend­e Unruhe und ein Schwindela­nfall zwangen ihn, die Arbeit abzubreche­n. „Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehm­en, rauscharti­gen Zustand, der sich durch äußerst angeregte Phantasie kennzeichn­ete“, hielt Hofmann in einem Bericht an seine Vorgesetzt­en fest. Es folgten visuelle Halluzinat­ionen, ehe der Spuk nach zwei Stunden wieder vorbei war.

Was war geschehen? Wie immer, wenn Hofmann mit hochgiftig­en Mutterkorn­substanzen hantierte, war er mit penibler Vorsicht vorgegange­n. Könnten dennoch minimale Spuren der Substanz durch die Haut resorbiert worden sein? Ausgeschlo­ssen war es nicht, und Hofmann war klar: Wenn das den Zwischenfa­ll ausgelöst hatte, musste LSD-25 eine enorm wirksame Substanz sein. Albert Hofmann entdeckt LSD

Horrortrip mit Happy End

In den folgenden Tagen fasste der verheirate­te Vater dreier Kinder einen Entschluss, der einen heute zwischen Bewunderun­g und Entsetzen schwanken lässt: Er entschied sich zum Selbstvers­uch. Montags darauf verabreich­te sich Hofmann die kleinste Dosis, von der seinen Berechnung­en zufolge noch eine feststellb­are Wirkung zu erwarten war: 0,25 Milligramm LSD. Wie sich später herausstel­len sollte, entspricht das etwa dem Fünffachen einer normal wirksamen Dosis.

Nach der Einnahme machte sich der Chemiker daran, seinen Selbstvers­uch zu protokolli­eren, doch schnell fiel ihm das Schreiben schwer. Mit großer Mühe bat er seine Laborantin, ihn nach Hause zu begleiten. „Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad nahm mein Zustand bedrohlich­e Formen an. Alles in meinem Gesichtsfe­ld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel“, schrieb er später in seinem Nachberich­t.

Auf albtraumha­fte Stunden der Verzweiflu­ng und Angst, wahnsinnig zu werden, folgte ein positiver Ausklang: „Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farbenund Formenspie­l zu genießen, kaleidosko­partig sich verändernd drangen bunte phantastis­che Gebilde auf mich ein.“Bemerkensw­ert erschien dem Chemiker, dass er sich trotz des intensiven Rausches an alle Einzelheit­en des Erlebten erinnern konnte.

Anwendunge­n aller Art

LSD entpuppte sich als eines der stärksten Halluzinog­ene der Welt – und Hofmann erkannte das Potenzial für die Psychiatri­e sofort. 1949 kam das Präparat unter dem Namen „Delysid“in den Handel. Doch bei psychiatri­schen Anwendunge­n sollte es nicht bleiben: Bald entdeckte die Hippiebewe­gung die Wirkung von LSD für sich, der Einfluss der Substanz auf die gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen der 1960er- und 1970erJahr­e ist nicht zu unterschät­zen.

Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde LSD nach und nach verboten (in Österreich 1971), auch die Forschung dazu kam zum Erliegen. Hofmann beobachtet­e diese Entwicklun­gen mit Bedrückung.

In seinem 1979 erschienen­en Buch LSD – Mein Sorgenkind warnte er vor einem leichtfert­igen Einsatz als Genussmitt­el ebenso wie vor einem Verbot der medizinisc­hen Forschung und Anwendung. „Wenn man lernen würde, die Fähigkeit von LSD, unter geeigneten Bedingunge­n visionäres Erleben hervorzuru­fen, in der medizinisc­hen Praxis besser zu nutzen, dann könnte dieses neuartige Psychophar­makon vom Sorgenkind zum Wunderkind werden.“

Doch lange blieb es, abseits der illegalen Nutzung als Rauschmitt­el, ziemlich still um LSD. Erst in den vergangene­n Jahren rückte die Substanz wieder stärker in den Fokus der Wissenscha­ft. Weltweit untersuche­n immer mehr Forschungs­gruppen, was genau unter dem Einfluss des Halluzinog­ens im Gehirn passiert und ob das Potenzial der Substanz in der Behandlung von Suchterkra­nkungen, Angststöru­ngen oder Depression­en genutzt werden könnte.

Neues Interesse

Forscher um Stefan Borgwardt (Universitä­t Basel) untersucht­en etwa, wie LSD auf die Amygdala wirkt – eine Hirnregion, die zentral für die Verarbeitu­ng von Emotionen ist. Wie sie Anfang April im Fachblatt Translatio­nal Psychiatry berichtete­n, kann das Halluzinog­en offenbar „entängstig­en“: Die Wahrnehmun­g von Angst unter LSD-Einfluss führt zu einer deutlich niedrigere­n Aktivität dieser Hirnregion, wie die Studie an 20 gesunden Probanden ergab.

„In einem zweiten Schritt zeigte sich: Je niedriger die LSD-induzierte Amygdala-Aktivität einer Person war, desto höher war der subjektive Drogeneffe­kt“, sagte Borgwardt dem STANDARD. „Eine klinische Frage ist nun, inwieweit diese ‚entängstig­ende‘ Wirkung für therapeuti­sche Zwecke genutzt werden kann.“

Könnte LSD also doch zu dem Wunderkind werden, das Albert Hofmann im Sinn hatte? Durchaus denkbar, er selbst wird es aber nicht mehr erfahren: Der bis zuletzt umtriebige Chemiker starb 2008 im Alter von 102 Jahren.

 ??  ?? Albert Hofmann mit einem LSD-Modell in seinem Labor in Basel. 1938 synthetisi­erte er das Halluzinog­en erstmals, fünf Jahre später entdeckte er – versehentl­ich – dessen ungeheure Wirkung.
Albert Hofmann mit einem LSD-Modell in seinem Labor in Basel. 1938 synthetisi­erte er das Halluzinog­en erstmals, fünf Jahre später entdeckte er – versehentl­ich – dessen ungeheure Wirkung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria