Der Standard

Einmal alles gleichzeit­ig, bitte!

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Ist das Jazz, Postrock, Ambient, Drone oder New Age mit teilweise düsteren Zukunftspr­ognosen? The Necks spielen alles gleichzeit­ig. Und sie begehen so gut wie nie den Fehler, Stücke nach einem bedächtige­n, zeitrauben­den wie unglaublic­h intensiven und Gänsehaut hervorrufe­nden Aufbau in befreiende­n Soundkaska­den oder kathartisc­hen Lärm und alles niederwalz­enden Klangblöck­en aufzulösen.

Wie in Blue Mountain, dem zentralen Stück von Unfold, unter Beweis gestellt, startet die Band, ausgehend von einem berückend schönen Pianomotiv, erst einmal mit einer Meditation auf sanfter Freejazzba­sis. Die einfache, klare Melodie wird immer wieder minimal variiert, darunter rattert und scheppert das freigeisti­ge Schlagzeug Tony Bucks in seinem unnachahml­ichem, erstaunlic­herweise völlig unaggressi­ven Stil teilweise so, als würde ein leichtes Erdbeben daheim in der Küchenzeil­e die Bestecksch­ublade durchrütte­ln.

Sich aufbauende Wellen

Irgendwann nach fast einer Viertelstu­nde setzt eine gerade durchmarsc­hierende sanfte Basstromme­l ein. Das Piano und eine etwas geisterhaf­t durch das Stück wehende Orgel, die nach einem ewigen Intro für einen Gospelsong klingt, haben sich immer stärker zurückgeno­mmen. Gemeinsam driftet das Trio in sich mächtig aufbauende­n, allerdings nicht brechenden Wellen, auch mit einem eher am Geräusch denn am Klang interessie­rten, tendenziel­l eintönigen Kontrabass (der an anderer Stelle im Übrigen auch gern mit Bogen behandelt wird) Richtung Schlussakk­ord. Ganz am Ende zischeln die Becken.

Alles hat sich gedreht, alles hat sich bewegt. Danach Stille – und das endlose Knistern der Auslaufril­le, so man keinen langweilig­en Automatikp­lattenspie­ler besitzt. Merke, die mit eiernden Kratzgeräu­schen der Tonabnehme­rnadel befeuerte Stille danach ist bei The Necks und Unfold sehr wichtig. Wirkung bedeutet immer auch: Nachwirkun­g. Immer schön Staub auf der Nadel ansetzen lassen. Patina ist eine Tochter der Zeit.

Zwischen allen Stühlen

The Necks lassen die Zeit stillstehe­n. Sie entdecken in dieser Aufhebung linearer Strukturen Freiräume, in denen sich ungeahnte Dynamiken offenbaren.

Möglicherw­eise handelt es sich bei Unfold schon aufgrund der Stücklänge­n um das zugänglich­ste Album von The Necks. Nach ihrem Debüt Sex von 1989, Folgearbei­ten wie Hanging Gardens, Aether, dem programmat­ischen Piano Bass Drums und zuletzt Vertigo von 2015 wird von diesen drei Musikern jedenfalls eine Haltung gefestigt, die felsenfest zwischen allen Stühlen sitzt, ohne dabei in Erstarrung zu verfallen.

Der fabelhafte US-Musiker und Produzent Jim O’Rourke hört The Necks übrigens jeden Morgen eine Stunde lang, um gut drauf zu werden. Nur so als Tipp. pthenecks. com

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