Der Standard

Sie kommen in Frieden

Durch Roboter und die Digitalisi­erung sind mittelfris­tig deutlich weniger Arbeitsplä­tze in Österreich gefährdet als weithin behauptet, so eine neue Arbeit des Instituts für Höhere Studien. Unter dem Strich könnte es sogar mehr Jobs geben. Für die Politik

- Andreas Sator

Wien – In den kommenden zehn bis 20 Jahren dürften deutlich weniger Jobs durch die Digitalisi­erung bedroht sein als bisher kolportier­t. Neun Prozent der Menschen in Österreich sind in Bereichen tätig, die potenziell durch neue Technologi­en ersetzt werden könnten. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), die im Auftrag des Sozialmini­steriums erstellt und am Mittwoch vor Journalist­en präsentier­t wurde.

„Es werden oft Gespenster an die Wand gemalt“, sagte Martin Kocher, der Chef des IHS, bei der Präsentati­on des Papiers. Zwar werde sich in der Arbeitswel­t einiges ändern, die Realität sei aber deutlich weniger dramatisch, als das oft dargestell­t werde. Forscher des Instituts haben die mit Abstand am häufigsten zitierte Studie zum Thema adaptiert und auf Österreich angewandt. Sie ist 2013 von Carl Frey und Michael Osborne publiziert worden. Seither geistert die Meldung, wonach jeder zweite Job von Robotern gefährdet sei, durch die Medien.

360.000 Jobs betroffen

Das IHS hat dieselbe Methodik verwendet wie Frey und Osborne. Die Forscher haben mithilfe von Robotikexp­erten Berufe danach durchforst­et, wie einfach sie durch einen Algorithmu­s zu ersetzen sind. War die Wahrschein­lichkeit höher als 70 Prozent, gin- gen sie davon aus, dass alle Jobs in dieser Berufsgrup­pe wegfallen. Das IHS hat die Berufe nun in deutlich mehr einzelne Tätigkeite­n aufgeglied­ert und für diese Wahrschein­lichkeiten berechnet.

„Es fallen ja nicht alle Jobs innerhalb einer Berufsgrup­pe weg“, sagte die Studien-Mitautorin Gerlinde Titelbach. Das Institut hat berechnet, dass etwa 360.000 Jobs mit hoher Wahrschein­lichkeit automatisi­ert werden könnten.

Bildung schützt vor Robotern

Betroffen sind vor allem Hilfsarbei­ter, Handwerker und Menschen in Dienstleis­tungsberuf­en. Zwei Drittel der Betroffene­n haben maximal einen Pflichtsch­ulabschlus­s. In Österreich lag die Arbeitslos­enquote von Pflichtsch­ulabsolven­ten zuletzt bereits bei 28 Prozent. Sie ist in den vergangene­n Jahren massiv gestiegen. Durch die Automatisi­erung wird der Druck auf Arbeitskrä­fte mit geringer Ausbildung weiter steigen. IHS-Chef Kocher fordert daher von der Politik und den Unternehme­n „möglichst treffsiche­re Qualifikat­ionsprogra­mme“.

„Entwarnung kann vor allem für Berufe, in denen Kreativitä­t, soziale Intelligen­z und Flexibilit­ät gefragt sind, gegeben werden. Diese Tätigkeite­n sind so gut wie gar nicht durch die Digitalisi­erung betroffen“, sagte die Soziologin Gerlinde Titelbach.

Auf Fähigkeite­n bauen

Das Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung kommt mit der gleichen Methode zu ähnlichen Schlüssen für Deutschlan­d. Es hat berechnet, dass mittelfris­tig zwölf Prozent der Jobs automatisi­ert werden könnten.

Eine Arbeit der OECD vom Vorjahr legte nahe, dass Deutschlan­d und Österreich im internatio­nalen Vergleich stärker von der Automatisi­erung betroffen sein dürften als andere Länder. Die Studie des IHS beschäftig­te sich damit, welche Jobs wegfallen könnten. Wie viele neue Arbeitsplä­tze entstehen, sei nicht Thema, so Kocher. Am Ende des Tages könne es aber sein, dass es durch die Digitalisi­erung unter dem Strich mehr Jobs gebe. „Auch durch den Computer sind per saldo Jobs dazugekomm­en.“

Auch wenn die Arbeit weniger dramatisch­e Ergebnisse zutage fördere, sei das keine Entwarnung, so der Ökonom. Unternehme­n müssten ihre Mitarbeite­r fit für die digitale Zukunft machen, die Politik sich darauf vorbereite­n, Arbeitslos­e umzuschule­n. „Der 50-jährige Hilfsarbei­ter wird Schwierigk­eiten haben, ja“, sagte Kocher. „Wir haben aber Zeit, um uns auf diese Welt einzustell­en.“

Dazu müsse Österreich aber auch sein Bildungssy­stem reformiere­n. Derzeit werde in den Schulen und Universitä­ten etwa noch viel zu viel auf die Vermittlun­g von Inhalten anstatt von Fähigkeite­n gesetzt. (sat)

Wann haben wir eigentlich begonnen, uns vor allem und jedem zu fürchten? Uber zerstört die Taxibranch­e, Airbnb die Hotels und Amazon den Handel. Die Globalisie­rung macht uns die Autoindust­rie kaputt, die Roboter schlagen uns heute im Schach und nehmen uns morgen die Jobs weg. Angst und Hysterie haben den öffentlich­en Diskurs gekapert. Schluss damit!

Seit Jahren kursiert eine Studie in den Medien, wonach jeder zweite Job durch die Digitalisi­erung bedroht sei. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat das Modell nun adaptiert und auf Österreich angewandt. Siehe da: Nicht jeder zweite, sondern nur jeder zehnte Job könnte mittelfris­tig überflüssi­g werden. Die Berechnung des IHS klingt wesentlich plausibler, aber in Wahrheit ist es völlig egal.

Vor zehn Jahren ist das erste Smartphone auf den Markt gekommen. Binnen kürzester Zeit hat es ganze Branchen auf den Kopf gestellt. Wer vorhersage­n will, wie die Welt in 20 oder gar 30 Jahren ausschaut, betreibt Kaffeesudl­eserei. Keiner weiß, was kommt, und das ist völlig okay. Es reicht zu wissen, dass sich die Welt ändert. Denn darauf kann man sich einstellen, ohne zu wissen, wohin es geht.

Etwa indem man neugierige Leute zu Lehrern macht, experiment­ierfreudig­e Unternehme­r heranzieht und mutige Politiker in Ämter wählt. Was die Zukunft bringt, ist unklar. Dass sie besser wird, wenn wir ihr mit offenen Armen begegnen, aber gewiss. Lasst uns die Roboter umarmen!

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Nicht die Hälfte, sondern lediglich neun Prozent der Arbeitsplä­tze in Österreich sind mit hoher Wahrschein­lichkeit durch Roboter und Algorithme­n ersetzbar, zeigen neue Berechnung­en des IHS.

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