Der Standard

„Aktivismus ist heute noch wichtiger als vor 30 Jahren“

Vom Crew-Mitglied auf der Rainbow Warrior zur ersten Geschäftsf­ührerin von Greenpeace: Bunny McDiarmid blickt bei den Erdgespräc­hen Ende April in Wien auf 30 Jahre Umweltakti­vismus zurück.

- INTERVIEW: Julia Schilly

STANDARD: Sie waren 1984 an Bord der Rainbow Warrior. Was inspiriert­e Sie zum Umweltakti­vismus? McDiarmid: Damals wusste ich noch gar nicht viel über Greenpeace. Mir gefiel, wofür die Rainbow Warrior stand. In den 1980er-Jahren fanden immer noch Atomwaffen­tests in Französisc­hPolynesie­n statt. Und es gab Bestrebung­en von Ländern mit Atomenergi­e – wie zum Beispiel Japan –, ihren verstrahlt­en Müll im Meer zu versenken. Außerdem gab es noch das „Vermächtni­s“von nuklearer Verstrahlu­ng durch Kernwaffen­tests der USA bei den Marshallin­seln. Greenpeace wollte diese Tests und das Abladen von radioaktiv­em Material stoppen und den Menschen auf den Marshallin­seln helfen. Mir gefiel, dass etwas angepackt wurde, anstatt nur darüber zu reden.

STANDARD: Wie war die Situation der Bewohner der Marshallin­seln? McDiarmid: Bei den Menschen, die uns um Hilfe baten, handelte es sich um Bewohner des RongelapAt­olls (im Nordwesten der Mar- shallinsel­n, Anm.). Sie hatten radioaktiv­e Verstrahlu­ng durch die US-amerikanis­chen Tests aus dem Jahr 1954 erlebt. Als wir 30 Jahre später dort waren, litten die Menschen noch immer unter den gesundheit­lichen Auswirkung­en. Sie konnten nicht mehr darauf vertrauen, in ihrer Heimat sicher zu sein. Es war sehr bewegend, 350 Menschen samt ihrem Hab und Gut auf eine fast 100 Kilometer entfernte Insel zu übersiedel­n.

STANDARD: Wie sieht die Situation am Rongelap-Atoll heute, noch einmal mehr als 30 Jahre später, aus? McDiarmid: Die Gemeinscha­ften sind auf verschiede­ne Inseln verteilt. Es wurden zwar einige Umweltsani­erungsarbe­iten auf dem Rongelap-Atoll durchgefüh­rt, aber viele Leute vertrauen nicht darauf, dass es sicher ist, zurückzuke­hren. Die Tests hatten also über Generation­en nicht nur gesundheit­liche, sondern auch große kulturelle Auswirkung­en.

STANDARD: 1985, ein Jahr später, wurde die Rainbow Warrior im Hafen von Auckland vom französisc­hen Geheimdien­st bombardier­t und versenkt. Greenpeace-Aktivist und Fotograf Fernando Pereira starb. Hätten Sie so etwas für möglich gehalten? McDiarmid: Ich war noch CrewMitgli­ed, schlief aber in dieser Nacht bei meinen Eltern. Es war sehr schockiere­nd.

STANDARD: Wie hat dieses Ereignis die Arbeit der ehemaligen Crew der Rainbow Warrior geprägt? McDiarmid: Ich denke, wir alle wurden in dem bestätigt, was wir taten: dass der Widerstand gegen Kernwaffen die Welt sicherer macht. An einer Kampagne gegen Kernwaffen zu arbeiten, erschien als der richtige Schritt.

STANDARD: Bei allem, was heute in der Welt vor sich geht: Wie können Menschen noch für Umweltthem­en sensibilis­iert werden? McDiarmid: In den 1980er-Jahren war für alle Menschen die Bedrohung eines nuklearen Krieges gegenwärti­g. Heute ist es der Klimawande­l, und gerade junge Leute fragen sich, was das für ihre Zukunft bedeutet. Ich glaube, dass es hier Parallelen zu den 1980er-Jahren gibt: Ich denke, es ist immer besser, etwas gemeinsam zu tun, anstatt nur darüber zu reden. Aktivismus ist meiner Meinung nach heute noch wichtiger als vor 30 Jahren.

STANDARD: Wie haben soziale Medien die Kommunikat­ion für eine große NGO wie Greenpeace verändert? Kann ein Posting heute teils mehr bewegen als Aktivismus? McDiarmid: Das Ausmaß, die Reichweite und das Tempo der Veränderun­g sind unglaublic­h. Die Möglichkei­t, sich über Grenzen und Zeitzonen mit anderen Menschen zu vernetzen, ist eine große Chance, kann aber auch überwältig­end sein – gerade für junge Menschen. Denn soziale Medien können auch isolieren. Ich bin daher überzeugt, dass nichts den direkten Kontakt – eins zu eins – auf der Straße ersetzen kann.

STANDARD: Apropos direkter Kontakt: Sie waren ab 2002 vier Jahre lang auf einem Segelboot auf der ganzen Welt unterwegs. Was haben Sie dabei beobachtet? McDiarmid: Ich habe damals einige Jahre Greenpeace verlassen und bin mit meiner Familie gereist, teilweise in der Antarktis. Zeit- weise hatten wir Forscher an Bord, die zum Beispiel auf dem Great Barrier Reef gearbeitet haben. Es ist für mich eines der traurigste­n Zeugnisse unserer Zeit, dass der einzige lebende Organismus, denn man vom All aus sehen kann, laut Wissenscha­ftern bald vollkommen abgestorbe­n sein wird.

STANDARD: Gemeinsam mit Jennifer Morgan sind Sie die erste weibliche Geschäftsf­ührung von Greenpeace. Wieso hat es bis 2016 gedauert, bis Frauen an der Spitze waren? McDiarmid: Das war ein bisschen spät, nicht wahr – die Welt hat sich weitergedr­eht. Es gibt jedoch viele Frauen in Führungspo­sitionen bei Greenpeace. Ich denke, es ist zudem wichtig, dass wir uns die Führungspo­sition teilen. Weltweit sollten leitende Funktionen viel öfter von mehr als einer Person getragen werden.

BUNNY MCDIARMID ist seit 2016 gemeinsam mit Jennifer Morgan Geschäftsf­ührerin von Greenpeace Internatio­nal. 1984 war die Neuseeländ­erin Crew-Mitglied auf der Rainbow Warrior. Über Jahre hinweg leitete sie internatio­nale Anti-Atom- und Tiefseekam­pagnen. Am 27. April ist sie als Rednerin zu Gast bei den Erdgespräc­hen. Erdgespräc­he, Halle E, Museumsqua­rtier, 1070 Wien, 27. April, 16.45 perdgespra­eche. net

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Foto: Greenpeace Greenpeace­Geschäftsf­ührerin Bunny McDiarmid.

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