Der Standard

Tauchgänge mit dem Schnorchel

Rachel Cusks „Transit“beherrscht die Kunst des gehobenen Plauderns über das Leben

- Michael Wurmitzer

Wien – Vorne schmücken Klebebände­r den Umschlag von Rachel Cusks neuem Roman. Sie helfen nicht nur, die nötigsten Titelinfor­mationen unterzubri­ngen, sie ergeben auch ein skizzenhaf­t errichtete­s Haus. Wieder einmal ist die erzählte Welt der 50-jährigen Autorin nämlich irgendwo zwischen gescheiter­t, provisoris­ch und Neuanfang angesiedel­t. Bezeichnen­d der Titel Transit.

Hauptfigur und nüchterne Reporterin ihres Umfeldes ist, wie schon in Outline (2016), Faye. Kürzlich geschieden, übersiedel­t sie mit den beiden halbwüchsi­gen Söhnen nach 15 Jahren Landleben in Sussex eben zurück nach London. Der Beruf als Autorin wirft neben Brot genug Tagesfreiz­eit ab, um dort ein Haus herzuricht­en.

In zumeist in sich abgeschlos­senen Episoden begleiten wir Faye zu Unterricht­sstunden im Schreiben, zu Verbredung­en zum Essen und zum Kaffee und begegnen dabei Menschen, die wie sie unterwegs sind: in Übergangsp­hasen, ihren Platz im Leben suchend.

„Wenn mich jemand fragt, wie ich ein Haus gestalten würde, habe ich immer öfter vollständi­g leere Räume vor Augen“, bekennt ein mit Fayes Baustelle betrauter Handwerker. In der Praxis scheitert dieser Philosoph der Acht- samkeit. Tatsächlic­h lebt er bei seiner Mutter, ihm fehlen Zeit und Lust, sich nach getaner Arbeit um ein eigenes Heim zu kümmern. Überhaupt verbringe er die meiste Zeit in seinem Lieferwage­n. Wenn das nicht als Metapher für Unruhe und Unbehausth­eit des modernen Menschen herhält!

Nichts zu viel

Cusk schreibt Plauderton auf höchstem Niveau. Unangestre­ngt, aber perfekt in Timing und Tonfall. Licht und schlank und klar. Da ist kein Wort zu viel. Es geht ihr nicht um Handlung. Das Geschehen steckt in den Gesprächen, die Faye führt und uns oft nur resümieren­d wiedergibt. Ob nun mit Gerard, einem früheren Geliebten, einer an ihrer lieblosen Kindheit leidenden Fotografin oder ihrem Friseur. „Wir sprechen hier von einer Verpflicht­ung“, ermahnt Dale sie, das Färben der ersten weißen Sprenkel zu überdenken. Ein Anstoß zum Philosophi­eren über das Älterwerde­n. An einem Schriftste­ller exerziert Cusk die Konstrukti­on der Erzählung des eigenen Lebens vor.

Überall und sogar mit Fremden ergeben sich aus beiläufige­n Begegnunge­n persönlich­ste, tiefschürf­ende Gespräche. Gleich Tauchgänge­n mit dem Schnorchel. An Fayes Cousin demonstrie­rt die Autorin neben gescheiter­ten Ehen und neuen Beziehungs­arrangemen­ts auch Selbstwert­schätzung: „In was für einer Welt leben wir denn, wo man Trost in einem industriel­l gefertigte­n Sandwich suchen muss? Was für ein Mensch bin ich, wenn ich glaube, so was verdient zu haben?“Er isst jetzt geräuchert­e Entenbrust und Stubenküke­n.

Im Gehabe oft eitel, ist der Text doch immer ernsthaft. Jedes Geschehen löst seinen erhellende­n Zweck stets auf dem Fuße ein. Ratgeber- und Kummerbuch scheinen niemals fern und zugleich etwas wie – man möchte misstrauen! – Weisheit. So verunglück­t abgedrosch­en wirken manche der Sätze, so trittsiche­r führt Cusk einen dennoch durch die kleinen Settings, die sie zimmert. Rachel Cusk, „Transit“. € 20,60 / 238 Seiten, Suhrkamp 2017

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Foto: Suhrkamp-Verlag Rachel Cusk, in Kanada geboren, lebt in Großbritan­nien.

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