Tauchgänge mit dem Schnorchel
Rachel Cusks „Transit“beherrscht die Kunst des gehobenen Plauderns über das Leben
Wien – Vorne schmücken Klebebänder den Umschlag von Rachel Cusks neuem Roman. Sie helfen nicht nur, die nötigsten Titelinformationen unterzubringen, sie ergeben auch ein skizzenhaft errichtetes Haus. Wieder einmal ist die erzählte Welt der 50-jährigen Autorin nämlich irgendwo zwischen gescheitert, provisorisch und Neuanfang angesiedelt. Bezeichnend der Titel Transit.
Hauptfigur und nüchterne Reporterin ihres Umfeldes ist, wie schon in Outline (2016), Faye. Kürzlich geschieden, übersiedelt sie mit den beiden halbwüchsigen Söhnen nach 15 Jahren Landleben in Sussex eben zurück nach London. Der Beruf als Autorin wirft neben Brot genug Tagesfreizeit ab, um dort ein Haus herzurichten.
In zumeist in sich abgeschlossenen Episoden begleiten wir Faye zu Unterrichtsstunden im Schreiben, zu Verbredungen zum Essen und zum Kaffee und begegnen dabei Menschen, die wie sie unterwegs sind: in Übergangsphasen, ihren Platz im Leben suchend.
„Wenn mich jemand fragt, wie ich ein Haus gestalten würde, habe ich immer öfter vollständig leere Räume vor Augen“, bekennt ein mit Fayes Baustelle betrauter Handwerker. In der Praxis scheitert dieser Philosoph der Acht- samkeit. Tatsächlich lebt er bei seiner Mutter, ihm fehlen Zeit und Lust, sich nach getaner Arbeit um ein eigenes Heim zu kümmern. Überhaupt verbringe er die meiste Zeit in seinem Lieferwagen. Wenn das nicht als Metapher für Unruhe und Unbehaustheit des modernen Menschen herhält!
Nichts zu viel
Cusk schreibt Plauderton auf höchstem Niveau. Unangestrengt, aber perfekt in Timing und Tonfall. Licht und schlank und klar. Da ist kein Wort zu viel. Es geht ihr nicht um Handlung. Das Geschehen steckt in den Gesprächen, die Faye führt und uns oft nur resümierend wiedergibt. Ob nun mit Gerard, einem früheren Geliebten, einer an ihrer lieblosen Kindheit leidenden Fotografin oder ihrem Friseur. „Wir sprechen hier von einer Verpflichtung“, ermahnt Dale sie, das Färben der ersten weißen Sprenkel zu überdenken. Ein Anstoß zum Philosophieren über das Älterwerden. An einem Schriftsteller exerziert Cusk die Konstruktion der Erzählung des eigenen Lebens vor.
Überall und sogar mit Fremden ergeben sich aus beiläufigen Begegnungen persönlichste, tiefschürfende Gespräche. Gleich Tauchgängen mit dem Schnorchel. An Fayes Cousin demonstriert die Autorin neben gescheiterten Ehen und neuen Beziehungsarrangements auch Selbstwertschätzung: „In was für einer Welt leben wir denn, wo man Trost in einem industriell gefertigten Sandwich suchen muss? Was für ein Mensch bin ich, wenn ich glaube, so was verdient zu haben?“Er isst jetzt geräucherte Entenbrust und Stubenküken.
Im Gehabe oft eitel, ist der Text doch immer ernsthaft. Jedes Geschehen löst seinen erhellenden Zweck stets auf dem Fuße ein. Ratgeber- und Kummerbuch scheinen niemals fern und zugleich etwas wie – man möchte misstrauen! – Weisheit. So verunglückt abgedroschen wirken manche der Sätze, so trittsicher führt Cusk einen dennoch durch die kleinen Settings, die sie zimmert. Rachel Cusk, „Transit“. € 20,60 / 238 Seiten, Suhrkamp 2017