Der Standard

„Wir machen hier viel mehr, als nur Fußball spielen.“

Seit drei Jahren spielt ein Team aus Asylwerber­n in der untersten Tiroler Liga Fußball. Ihre Gegner sind dabei nicht nur auf dem Platz. Und ihren Erfolg messen sie nicht allein in erzielten Toren oder gewonnen Punkten.

- Steffen Arora

Christina Bielowski, Exprofispi­elerin und sportliche Leiterin des Asylwerber-Fußballtea­ms FC Sans Papiers in Tirol, über die Vermittlun­g von Grundwerte­n als Teil des Trainings

Innsbruck – Auf Tabellenpl­atz fünf der 2. Klasse Mitte, direkt zwischen der Telfser B-Mannschaft und der Spielgemei­nschaft Silz/ Mötz, rangiert Tirols internatio­nalstes Fußballtea­m. Wenn der FC Sans Papiers in der untersten Spielklass­e aufläuft, stehen Kicker aus Gambia, Sierra Leone, Nigeria, Somalia, dem Iran, dem Irak und Afghanista­n auf dem Feld. Sie sind allesamt Asylwerber. Doch während der 90 Minuten auf dem Platz sind sie Fußballer, die gegen den örtlichen Bäcker oder den Bauern aus dem Nachbardor­f antreten.

Verteidige­r Ruhullah Noori kam 2012 nach Österreich. Er hatte schon in seiner Heimatstad­t Herat in Afghanista­n Fußball gespielt: „Dort war ich Stürmer, heute bin ich Verteidige­r.“Der Sport war für den 27-Jährigen Vehikel zur Integratio­n in Tirol. „Ich durfte nichts arbeiten, außer ein paar Stunden gemeinnütz­ige Tätigkeit für die Gemeinde in Götzens, und wollte nicht den Rest der Zeit nur herumsitze­n. Also habe ich zusammen mit ein paar anderen Asylwerber­n begonnen, Fußball zu spielen.“So lernte er nach und nach mehr Einheimisc­he kennen.

Ungefähr zur selben Zeit gründeten sieben Asylwerber im nahen Innsbruck den Fußballver­ein FC Flüchtling­sheim. Doch sie stießen mit ihrem Engagement rasch an ihre Grenzen, als es darum ging, Grundlegen­des wie etwa Ausrüstung oder einen Trainingsp­latz zu organisier­en. Da kam SPÖ-Gemeinderä­tin Angela Eberl ins Spiel: „Jemand hat den Jungs gesagt, sie sollen mich anrufen und um Hilfe bitten.“

Öffentlich­e und private Hilfe

Seit Anfang 2013 ist Eberl nun nebenbei Obfrau eines Fußballver­eins. Sie organisier­te mithilfe der Stadt Innsbruck, des Landes Tirol und zahlreiche­r privaten Unterstütz­er alles, was ein Fußballver­ein so zum Spielbetri­eb braucht, Bälle und Dressen, beispielsw­eise. Und sie änderte den Teamnamen auf FC Sans Papiers, ein aus dem Französisc­hen stammender Ausdruck für Migranten ohne Ausweispap­iere.

Derart ausgerüste­t keimte in der Mannschaft schnell der Wunsch, sich im regulären Ligabetrie­b zu messen. Dazu war Überzeugun­gsarbeit gegenüber dem Tiroler Fußballver­band (TFV) nötig. Denn eigentlich ist eine Nachwuchsm­annschaft obligatori­sch, um eine Lizenz zu erhalten. TFV-Präsident Sepp Geisler willigte dennoch ein und so spielt der FC Sans Papiers 2014 seine erste Saison in der 2. Klasse Mitte.

Neben Obfrau Eberl ist auch die sportliche Leitung im Verein mit der ehemaligen Profi- und Nationalte­amspieleri­n Christina Bie- lowski fest in weiblicher Hand: „Wir trainieren dreimal die Woche. Diese Struktur ist sehr wichtig für unsere Leute.“

Zum FC Sans Papiers gehören heute die Kampfmanns­chaft, ein Hobbyteam, das zur Ausbildung neuer Spieler dient, und seit kurzem auch eine Nachwuchsm­annschaft. Neben dem sportliche­n Aspekt sind Grundwerte wie Respekt oder das Verarbeite­n der eigenen, meist traumatisc­hen, Vergangenh­eit Teil des Trainings. „Wir machen hier viel mehr, als nur Fußball spielen“, sagt Bielowski.

Im mittlerwei­le dritten Ligajahr zieht die sportliche Leiterin zufrieden Bilanz. Nach dem letzten und vorletzten Platz in den ver- gangenen Saisonen hält der FC Sans Papiers aktuell auf Platz fünf von 13 Teams. Noch sind zehn Spiele zu absolviere­n. „Langfristi­g ist unser Ziel natürlich der Aufstieg“, sagt sie. Wobei man mit erschwerte­n Rahmenbedi­ngungen zu kämpfen hat.

Mangels Mannschaft­sbus reist der FC Sans Papiers in der Regel per Öffis zu den Spielen. Eine besondere Belastung ist die permanente Unsicherhe­it, denn immer wieder werden Spieler abgeschobe­n. „Das ist sportlich wie menschlich eine sehr schwierige Situation für uns“, erklärt Bielowski. Und schließlic­h kommen noch die rassistisc­hen Anfeindung­en am Platz dazu, die meist von den Zuschauern ausgehen.

Rassistisc­her Eklat

Im September 2015 kam es zum Eklat beim Spiel gegen Scharnitz. Zuschauer und Spieler der gegnerisch­en Mannschaft überboten sich in rassistisc­hen Beschimpfu­ngen. Trotz medialen Echos hatte der Vorfall keinerlei Nachspiel, wie Eberl frustriert erzählt: „Das ist enttäusche­nd. Man hat das Gefühl, wir dienen dem Verband als Feigenblat­t – nach dem Motto „Seht her, wir lassen sie eh mitspielen“. Aber wirklich thematisie­rt würden Rassismus, Sexismus und Homophobie im Fußball nicht.

Zum Saisonfina­le am 17. Juni muss der FC Sans Papiers wieder auswärts gegen Scharnitz antreten. „Mittlerwei­le sind wir Fünfter. Die Gegner müssen sich mit unserer Spielweise auseinande­rsetzen, nicht mit der Herkunft unserer Spieler“, sagt Bielowski selbstbewu­sst. Sie trichtert ihren Männern ein, bei Beschimpfu­ngen ruhig zu bleiben und es nicht persönlich zu nehmen. „Das ist nicht immer einfach“, weiß Verteidige­r Noori aus eigener Erfahrung, „doch wir müssen die Antwort darauf als Team auf dem Platz geben.“

 ??  ?? Kicker des FC Sans Papiers haben viel mit Frauen zu tun: Klubobfrau ist die SPÖ-Gemeinderä­tin Angela Eberl, Trainerin Christina Bielowski, und zu Ostern war Staatssekr­etärin Mina Duzdar Zuseherin.
Kicker des FC Sans Papiers haben viel mit Frauen zu tun: Klubobfrau ist die SPÖ-Gemeinderä­tin Angela Eberl, Trainerin Christina Bielowski, und zu Ostern war Staatssekr­etärin Mina Duzdar Zuseherin.

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