Frankreich: Aufwärmen für den Wahl-Vierkampf
Kampf um Einzug in Stichwahl völlig offen
Paris – Knapp eine Woche vor der ersten Runde zur französischen Präsidentenwahl wollten die Kandidaten am Montagabend ihre Anhänger mit Großkundgebungen für den Endspurt motivieren. Zentrist Emmanuel Macron und Rechtsextremistin Marine Le Pen wollten in Paris auftreten, ebenso der Linke Jean-Luc Mélenchon, der mit einer Bootsfahrt auf Stimmenfang ging. Der Konservative François Fillon wollte in Nizza auftreten.
Macron und Le Pen sind zuletzt unter Druck geraten. Das Rennen am Sonntag ist laut Umfragen wieder völlig offen. Das Institut Opinionway, dessen täglich veröffentlichte Ergebnisse seit Wochen die beiden stabil vorn zeigen, meldete am Montag, Macron und Le Pen kämen nur noch auf je 22 Prozent der Stimmen, Fillon auf 21 und Mélenchon auf 18. Die beiden Verfolger haben zuletzt massiv aufgeholt. Sowohl Macron als auch Fillon und Mélenchon könnten am 7. Mai auf einen Stichwahlsieg gegen Le Pen hoffen, wobei Macron den größten, Fillon den geringsten Vorsprung hätte.
Wohl auch vor dem Hintergrund sinkender Zustimmung nahm Macron am Montag Abstand vom deutschen Wirtschaftsmodell. Hartz IV sei kein Vorbild für Frankreich, Berlins Exportüberschuss sei zu hoch, sagte er. (AFP, mesc)
„Wir befinden uns in einer entscheidenden Situation“, betonte der deutsche Philosoph Jürgen Habermas bei einer Berliner Veranstaltung über die Zukunft Europas und fügte hinzu: „Man muss doch sehen, wie das Erreichte zu bewahren ist, aber vor allen Dingen, wie die Fehler zu reparieren sind.“Die Diskussion Mitte März mit dem Senkrechtstarter in der französischen Präsidentschaftskampagne, Emmanuel Macron, dem 39-jährigen früheren Wirtschaftsminister der sozialistischen Regierung und jetzt parteilosen Kandidaten, hatte vor knapp vier Wochen deshalb besondere Aufmerksamkeit ausgelöst, weil ihm damals der höchstwahrscheinliche Einzug in die erste Runde am 23. April und dann der sichere Sieg in der Stichwahl am 7. Mai vermutlich gegen die Rechtsradikale Marine Le Pen M prophezeit wurde. acron, mit seiner vor einem Jahr gegründeten und von einer Viertelmillion Franzosen unterstützten Bewegung „En Marche!“(„Vorwärts!“) und seinem Programm der gemäßigten Mitte, gilt als der Hoffnungsträger für alle, die die EU vor dem Zerfall retten möchten. Auch in Berlin sprach er sich für Europa aus: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“Als unerlässliche Vorbedingung der Reformen bezeichnete Macron die Wiederherstellung der französischen Glaubwürdigkeit (in den Wirtschafts- und Haushaltsfragen) und der deutschfranzösischen Vertrauensbasis. Der Auftritt des ungewöhnlichen und in den Meinungsumfragen so erfolgreichen Kandidaten hatte anscheinend auch den vorsichti- gen Habermas so beeindruckt, dass er ihn in seinem Schlusswort sinngemäß als „französischen Präsidenten“bezeichnet hat.
In dieser höchst kuriosen Präsidentschaftswahl wurden aber in vier Wochen die Karten anscheinend wieder neu gemischt. Während Le Pen und Macron bei 23 bis 25 Prozent stagnieren, holt der 65 jährige, nationalistische, von den Kommunisten unterstützte Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon dramatisch auf. Er hat schon mit fast 20 Prozent den wegen einer Korruptionsaffäre diskreditierten früheren Premier D Fillon überholt. er brillante Redner ist im Grunde ebenso gefährlich wie Le Pen. Der linksradikale Bewunderer Russlands will ein schuldenfinanziertes 100-Milliarden-Konjunkturprogramm, unglaublich hohe Mindestlöhne und Renten, Wiederverstaatlichungen, einen Spitzensteuersatz von 90 Prozent und Frankreich aus der Nato und unter Umständen auch aus der EU führen. Angesichts der Politikverdrossenheit könnte die Wahlbeteiligung von den 80 Prozent bei früheren Präsidentschaftswahlen auf zwei Drittel fallen, was der rechtsextremen Le Pen helfen würde. Darüber hinaus sind nur 60 Prozent der Wähler (allerdings 76 Prozent der Le-Pen-Anhänger) sicher, für welchen der 13 Kandidaten sie in der ersten Runde stimmen werden. Bei dieser Kampagne der Überraschungen ist alles möglich. Fillon könnte als das kleinere Übel viele Wähler doch am Wahltag für sich gewinnen und in die Stichwahl gelangen. Käme aber Mélenchon gegen Le Pen in die Stichwahl, wäre auch ein Sieg Le Pens nicht ausgeschlossen. Das wäre das Ende der EU und eine Katastrophe nicht nur für Frankreich.