Der Standard

Tieftauche­r Herbert Nitsch im Porträt

Vor fünf Jahren wollte der Wiener Herbert Nitsch seinen Weltrekord im Apnoe-Tauchen brechen. Er erreichte eine Tiefe von 253 Metern – und erlitt mehrere Hirnschläg­e. Trotzdem geht er zurück ins Wasser – weit runter.

- Philip Bauer

Wien – Herbert Nitsch ist ein widerspens­tiger Kerl. Dieses und jenes Medikament hatten ihm die Ärzte nach seinem Tauchunfal­l im Juni 2012 verschrieb­en. Bald schon nahm er weder dieses noch jenes. Und um Himmels willen, so die dringliche Bitte der Mediziner, er möge nie mehr unter Wasser gehen. Aber auch davon war der 46jährige Wiener nicht zu überzeugen. Zunächst ging es an den Neufelder See, dann nach Tahiti. Zunächst tauchte er direkt unter der Wasserober­fläche, dann in rund 30 Metern Tiefe. Und irgendwann zeigte das Messgerät wieder eine dreistelli­ge Zahl an. Nein, keine 253 Meter wie an jenem dramatisch­en Tag vor Santorin, kein neuer Weltrekord, aber mehr als 100 Meter Tiefe waren es schon. Mit einem einzigen Atemzug wohlgemerk­t. Und diesmal nicht mit einem Schlitten, sondern mit reiner Flossenkra­ft. „Innerhalb von drei Tagen war ich wieder dort, wo ich aufgehört habe“, sagt Nitsch und grinst bis über beide Ohren.

Aber warum? Warum riskiert einer, der beim Tauchen beinahe sein Leben gelassen hätte, abermals seine Gesundheit? Die Frage muss Nitsch schon öfters gestellt worden sein, er kontert prompt mit einer Gegenfrage. „Warum essen Sie? Sehen Sie, für mich ist es dasselbe mit dem Freitauche­n, ich will diese Welt nicht missen.“

Ein bisschen Trotz

Ein bisschen Trotz ist dabei: „Es war schon auch der Reiz, den Ärzten und anderen Freitauche­rn zu beweisen, dass ich es noch kann.“Kurz, aber nur kurz, kam sogar der Gedanke an den Wettbewerb und einen neuen Weltrekord­versuch auf: „Aber die Organisati­on in puncto Sicherheit war mir dann doch zu komplizier­t.“

Ist die Rekordjagd damit endgültig eingestell­t? Nitsch legt sich nicht fest: „Sag niemals nie.“Als Herbert Nitsch im März 2013 mit dem STANDARD sprach, stand er noch unter dem Eindruck der zeitintens­iven und mühevollen Rehabilita­tion: „Ich hätte es nicht machen sollen“, sagte er damals. Heute formuliert er es anders: „Ich hätte es nicht so machen sollen.“

Die Jahre nach dem Unfall standen im Zeichen der Aufarbeitu­ng. „Ich musste verstehen, was schiefgega­ngen war. Es wurde viel gemutmaßt, an den Haaren herbeigezo­gen.“Immer wieder analysiert­e Nitsch die Unterwasse­raufnahmen und kam zu einer für ihn eindeutige­n Schlussfol­gerung: „Ich bin auf dem Weg zurück in 80 Metern Tiefe auf dem Tauchschli­tten eingeschla­fen und in 24 Metern Tiefe wieder aufgewacht.“

Ideales Schlafmitt­el

Wie kann man bei einem Weltrekord­versuch unter Wasser gemütlich wegbüseln? „Das klingt vielleicht eigenartig, man muss bei so einem Vorhaben aber einen meditative­n Zustand erreichen. Kombiniert mit einer Stickstoff­narkose ergibt das ein ideales Schlafmitt­el.“Aber warum hat man sich darauf nicht vorbereite­t? „Ganz einfach: Weil Derartiges noch nie vorgefalle­n ist, es war nicht abzusehen.“

Nitsch war von den Sicherungs­tauchern ohne Dekompress­ionstopp an die Wasserober­fläche gebracht worden. „Sie dachten, ich sei ohnmächtig. Ich bin dann sofort wieder mit reinem Sauerstoff abgetaucht, mein normales Prozedere, die Schäden waren aber nicht mehr zur Gänze zu verhindern.“Die Schäden, wie Nitsch seine Beeinträch­tigungen nennt, machen sich für Außenstehe­nde mittlerwei­le kaum bemerkbar. Er artikulier­t nicht ganz sauber, mitunter muss man nachfragen, aber nichts fällt über die Maßen auf.

Nitsch selbst sieht seinen Zustand kritischer: „Ich habe Balance- und Koordinati­onsproblem­e, das Gehen ist noch wackelig. Mit dem Rad geht es besser, freihändig fahre ich lieber nicht. Und mit der rechten Hand kann ich nicht schreiben.“Und die zunächst ge- trübte Erinnerung? „Es hat ein gutes Jahr gedauert, bis alles zurückgeko­mmen ist.“

Der ungebroche­nen Leidenscha­ft für das Freitauche­n frönt Nitsch derzeit in moderaten Tiefen. Er filmt und fotografie­rt, in Wracks und in Höhlen. Der „Deepest Man on Earth“, wie ihn die Medien einst tauften, war zuletzt nur selten in Wien anzutreffe­n. Nizza, der Wohnsitz seiner Lebensgefä­hrtin, ist zu einer zweiten Heimat geworden. Nitsch ist nach seinem Unfall ein gefragter Mann geblieben und dementspre­chend oft unterwegs. Neuerdings gibt er den Werbebotsc­hafter für das Wasserstof­fauto eines südkoreani­schen Automobilh­erstellers. Vorträge bei Großuntern­ehmen hält er auch – Themenschw­erpunkt Risikomana­gement.

Nicht schlecht für einen, der sich einmal gehörig verkalkuli­ert hat. Doch Nitsch galt immer als der Bedachte unter den Freitauche­rn, und selbst der beste Manager muss sich ein Restrisiko eingestehe­n. Einige prominente Todesfälle in der Freitauche­rszene lassen sich ohnehin nicht wegdiskuti­eren.“

Wenn Nitsch über die Faszinatio­n der Weltmeere spricht, ist auch deren Schutz ein großes Thema: „Ich war auf den abgelegens­ten Plätzen der Ozeane unterwegs, man würde annehmen, dort gibt es nur Natur. Ein Irrtum.“

Sea Sheperd

Und wie sieht es tatsächlic­h aus? „Überall Plastikfla­schen und Überfischu­ng. Was bringt eine Fangquote, wenn sich keiner darum schert?“Also engagiert sich der Taucher ehrenamtli­ch als Advisory Board Member bei der Umweltschu­tzorganisa­tion Sea Shepherd. Deren Methoden werden von Kritikern oft als militant bezeichnet, man scheut nicht den Konflikt mit illegalen Fischerboo­ten. „Ohne radikal zu sein, bringt man in dem Bereich nichts weiter. Die Fischer sind auch radikal“, sagt Nitsch, der sich bei Sea Shepherd in erster Linie in Sachen Bewusstsei­nsbildung engagiert.

Das nächste Projekt kommt nicht ganz überrasche­nd: ein Buch, eine Autobiogra­fie. Ende des Jahres soll das Werk veröffentl­icht werden. „Es geht um den Unfall, die Reha, es führt von meiner Kindheit bis in die Gegenwart. Es erzählt von einem unkonventi­onellen Weg, der mir 33 Weltrekord­e eingebrach­t hat.“

Das Schreiben geht Nitsch nicht schnell genug: „Ist es normal, dass ich drei Stunden an einer Seite arbeite? Ich möchte einen komplexen Sachverhal­t einfach erklären. Tauchen fällt mir um einiges leichter.“Und wie erklärt man ambitionie­rten Freitauche­rn das Erkennen der eigenen Grenzen? „Es gibt keine Grenzen, aber irgendwann muss sich jeder die Frage nach dem Warum stellen.“

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Vor seinem Unfall war Herbert Nitsch der „Deepest Man on Earth“.
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F.: herbertnit­sch.com Nitsch will die Welt des Freitauche­ns nicht missen.

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