Tieftaucher Herbert Nitsch im Porträt
Vor fünf Jahren wollte der Wiener Herbert Nitsch seinen Weltrekord im Apnoe-Tauchen brechen. Er erreichte eine Tiefe von 253 Metern – und erlitt mehrere Hirnschläge. Trotzdem geht er zurück ins Wasser – weit runter.
Wien – Herbert Nitsch ist ein widerspenstiger Kerl. Dieses und jenes Medikament hatten ihm die Ärzte nach seinem Tauchunfall im Juni 2012 verschrieben. Bald schon nahm er weder dieses noch jenes. Und um Himmels willen, so die dringliche Bitte der Mediziner, er möge nie mehr unter Wasser gehen. Aber auch davon war der 46jährige Wiener nicht zu überzeugen. Zunächst ging es an den Neufelder See, dann nach Tahiti. Zunächst tauchte er direkt unter der Wasseroberfläche, dann in rund 30 Metern Tiefe. Und irgendwann zeigte das Messgerät wieder eine dreistellige Zahl an. Nein, keine 253 Meter wie an jenem dramatischen Tag vor Santorin, kein neuer Weltrekord, aber mehr als 100 Meter Tiefe waren es schon. Mit einem einzigen Atemzug wohlgemerkt. Und diesmal nicht mit einem Schlitten, sondern mit reiner Flossenkraft. „Innerhalb von drei Tagen war ich wieder dort, wo ich aufgehört habe“, sagt Nitsch und grinst bis über beide Ohren.
Aber warum? Warum riskiert einer, der beim Tauchen beinahe sein Leben gelassen hätte, abermals seine Gesundheit? Die Frage muss Nitsch schon öfters gestellt worden sein, er kontert prompt mit einer Gegenfrage. „Warum essen Sie? Sehen Sie, für mich ist es dasselbe mit dem Freitauchen, ich will diese Welt nicht missen.“
Ein bisschen Trotz
Ein bisschen Trotz ist dabei: „Es war schon auch der Reiz, den Ärzten und anderen Freitauchern zu beweisen, dass ich es noch kann.“Kurz, aber nur kurz, kam sogar der Gedanke an den Wettbewerb und einen neuen Weltrekordversuch auf: „Aber die Organisation in puncto Sicherheit war mir dann doch zu kompliziert.“
Ist die Rekordjagd damit endgültig eingestellt? Nitsch legt sich nicht fest: „Sag niemals nie.“Als Herbert Nitsch im März 2013 mit dem STANDARD sprach, stand er noch unter dem Eindruck der zeitintensiven und mühevollen Rehabilitation: „Ich hätte es nicht machen sollen“, sagte er damals. Heute formuliert er es anders: „Ich hätte es nicht so machen sollen.“
Die Jahre nach dem Unfall standen im Zeichen der Aufarbeitung. „Ich musste verstehen, was schiefgegangen war. Es wurde viel gemutmaßt, an den Haaren herbeigezogen.“Immer wieder analysierte Nitsch die Unterwasseraufnahmen und kam zu einer für ihn eindeutigen Schlussfolgerung: „Ich bin auf dem Weg zurück in 80 Metern Tiefe auf dem Tauchschlitten eingeschlafen und in 24 Metern Tiefe wieder aufgewacht.“
Ideales Schlafmittel
Wie kann man bei einem Weltrekordversuch unter Wasser gemütlich wegbüseln? „Das klingt vielleicht eigenartig, man muss bei so einem Vorhaben aber einen meditativen Zustand erreichen. Kombiniert mit einer Stickstoffnarkose ergibt das ein ideales Schlafmittel.“Aber warum hat man sich darauf nicht vorbereitet? „Ganz einfach: Weil Derartiges noch nie vorgefallen ist, es war nicht abzusehen.“
Nitsch war von den Sicherungstauchern ohne Dekompressionstopp an die Wasseroberfläche gebracht worden. „Sie dachten, ich sei ohnmächtig. Ich bin dann sofort wieder mit reinem Sauerstoff abgetaucht, mein normales Prozedere, die Schäden waren aber nicht mehr zur Gänze zu verhindern.“Die Schäden, wie Nitsch seine Beeinträchtigungen nennt, machen sich für Außenstehende mittlerweile kaum bemerkbar. Er artikuliert nicht ganz sauber, mitunter muss man nachfragen, aber nichts fällt über die Maßen auf.
Nitsch selbst sieht seinen Zustand kritischer: „Ich habe Balance- und Koordinationsprobleme, das Gehen ist noch wackelig. Mit dem Rad geht es besser, freihändig fahre ich lieber nicht. Und mit der rechten Hand kann ich nicht schreiben.“Und die zunächst ge- trübte Erinnerung? „Es hat ein gutes Jahr gedauert, bis alles zurückgekommen ist.“
Der ungebrochenen Leidenschaft für das Freitauchen frönt Nitsch derzeit in moderaten Tiefen. Er filmt und fotografiert, in Wracks und in Höhlen. Der „Deepest Man on Earth“, wie ihn die Medien einst tauften, war zuletzt nur selten in Wien anzutreffen. Nizza, der Wohnsitz seiner Lebensgefährtin, ist zu einer zweiten Heimat geworden. Nitsch ist nach seinem Unfall ein gefragter Mann geblieben und dementsprechend oft unterwegs. Neuerdings gibt er den Werbebotschafter für das Wasserstoffauto eines südkoreanischen Automobilherstellers. Vorträge bei Großunternehmen hält er auch – Themenschwerpunkt Risikomanagement.
Nicht schlecht für einen, der sich einmal gehörig verkalkuliert hat. Doch Nitsch galt immer als der Bedachte unter den Freitauchern, und selbst der beste Manager muss sich ein Restrisiko eingestehen. Einige prominente Todesfälle in der Freitaucherszene lassen sich ohnehin nicht wegdiskutieren.“
Wenn Nitsch über die Faszination der Weltmeere spricht, ist auch deren Schutz ein großes Thema: „Ich war auf den abgelegensten Plätzen der Ozeane unterwegs, man würde annehmen, dort gibt es nur Natur. Ein Irrtum.“
Sea Sheperd
Und wie sieht es tatsächlich aus? „Überall Plastikflaschen und Überfischung. Was bringt eine Fangquote, wenn sich keiner darum schert?“Also engagiert sich der Taucher ehrenamtlich als Advisory Board Member bei der Umweltschutzorganisation Sea Shepherd. Deren Methoden werden von Kritikern oft als militant bezeichnet, man scheut nicht den Konflikt mit illegalen Fischerbooten. „Ohne radikal zu sein, bringt man in dem Bereich nichts weiter. Die Fischer sind auch radikal“, sagt Nitsch, der sich bei Sea Shepherd in erster Linie in Sachen Bewusstseinsbildung engagiert.
Das nächste Projekt kommt nicht ganz überraschend: ein Buch, eine Autobiografie. Ende des Jahres soll das Werk veröffentlicht werden. „Es geht um den Unfall, die Reha, es führt von meiner Kindheit bis in die Gegenwart. Es erzählt von einem unkonventionellen Weg, der mir 33 Weltrekorde eingebracht hat.“
Das Schreiben geht Nitsch nicht schnell genug: „Ist es normal, dass ich drei Stunden an einer Seite arbeite? Ich möchte einen komplexen Sachverhalt einfach erklären. Tauchen fällt mir um einiges leichter.“Und wie erklärt man ambitionierten Freitauchern das Erkennen der eigenen Grenzen? „Es gibt keine Grenzen, aber irgendwann muss sich jeder die Frage nach dem Warum stellen.“