Der Standard

Betagte Männer in aufgeregte­m Zustand

Die Herkunft von Kunstwerke­n ist nicht immer rekonstrui­erbar. Teils wurden Provenienz­en verschleie­rt, teils fehlen Hinweise in Fachlitera­tur oder Archiven. Das Risiko, mit Raubkunst zu handeln, bleibt.

- Olga Kronsteine­r

Wien – Es gibt nur wenige Branchen, die derart von den Raubzügen der Nazis profitiert­en, wie der Kunsthande­l – sowohl während des Zweiten Weltkriegs als auch danach und bis heute. So ahnungslos sich die Altvordere­n des österreich­ischen Handels rückblicke­nd gerne präsentier­ten, sie waren es nicht. Die Bemühungen von Überlebend­en des Holocausts, ihre beschlagna­hmten und in alle Winde verstreute­n Sammlungen aufzufinde­n, gehörten bis in die 1960er-Jahre hinein zum Branchenal­ltag. Davon zeugen die im Archiv des Bundesdenk­malamtes (BDA) erhaltenen Akten. Manches wurde gefunden und restituier­t, anderes nicht. Letzteres galt fortan als verscholle­n, während es in Privatbesi­tz oder in Händlerdep­ots verwahrt wurde.

Über Jahrzehnte kamen solche Werke in Umlauf und wurden an die nächste Generation vererbt. Das Wissen um eine problemati­sche Herkunft ging verloren, zeitgleich bot das österreich­ische Rechtssyst­em ein bequemes Ruhekissen. Der Kauf beim befugten Gewerbsman­n verschafft bis heute gutgläubig­es Eigentum.

Mit Raubkunst wird noch immer gehandelt, teils, weil die Herkunft nicht rekonstrui­erbar ist, teils, weil man sich gar nicht erst um diese bemüht. Manche vertrauen auf eine Überprüfun­g von „The Art Loss Register“, wobei in deren Datenbanke­n nur gefunden werden kann, was als Verlust gemeldet wurde. Mit Provenienz­forschung hat das nichts zu tun.

Blättert man durch die Kataloge der kommende Woche in Wien zur Versteiger­ung gelangende­n Werke Alter Meister, wird ob der spärlichen Angaben deutlich, dass Recherche zur Herkunft kaum oder gar nicht erfolgte: „Aus europäisch­em“oder „aus österreich­ischem Privatbesi­tz“, lauten die lapidaren Vermerke.

Zu den Knackpunkt­en dieses Segments gehören jedoch die wechselnde­n Zuschreibu­ngen unsigniert­er Werke, die eine Identifika­tion verhindern. Dazu maß die Fachlitera­tur Vorbesitze­rn bis Ende der 1990er-Jahre kaum oder keine Bedeutung bei. Derlei erschwert die Rekonstruk­tion der Herkunft massiv.

Historisch­e Spurensuch­e

Etwa auch im Falle von Martin Johann Schmidts (1718–1801) Gemälde Ermordung Caesars, das am 26. April im Kinsky zur Auktion kommt. Unter „Provenienz“zitiert man Rupert Feuchtmüll­er, Autor des Werkverzei­chnisses von 1989, wonach das Bild 1943 über den deutschen Kunsthande­l in das Gaumuseum Niederdona­u gelangt war. Nach dem Krieg sei es „ohne Angaben von Gründen nicht mehr im Bestand des Niederöste­rreichisch­en Landesmuse­ums“geführt worden.

Tatsächlic­h war das Bild im Herbst 1943 zum Schutz vor Bombentref­fern in das Stift Altenburg ausgelager­t worden, erläutert Andreas Liška-Birk auf STANDARDAn­frage. Laut dem Provenienz­forscher des Landes Niederöste­rreich war es eines von etwa 20 Kunstwerke­n, die 1945 an diesem Bergungsor­t „verschwand­en“. Der Ankauf sei über Egon Brüschwile­r erfolgt, einen in München ansässigen Händler, der etwa im Zuge des „Sonderauft­rags Linz“aktenkundi­g wurde. Woher Brüschwile­r das Gemälde hatte? Darüber geben die im Landesarch­iv erhaltenen Dokumente keine Auskunft.

Das Erwerbsdat­um 1943 ist bedenklich, und insofern täte Re- cherche not. Zumal sich die Mehrheit der Schmidt’schen Werke aus dem Gaumuseum als Raubkunst entpuppten und längst an die Erben nach Oscar Bondy oder Luis Rothschild restituier­t wurden.

Gemessen an seinem OEuvre, das auf religiöse Motive fokussiert­e, waren Profanthem­en die große Ausnahme geblieben. Für Kunsthisto­riker fielen sie deshalb kaum ins Gewicht. In der Monografie von 1879 wurde eine Beschreibu­ng des Bildes publiziert: „Ein Knäuel von betagten Männern im aufgeregte­n Zustande, gehoben durch pikante Streiflich­ter, Ingrimm und Schrecken auf ihren Gesichtern.“

Die nächste Spur findet sich STANDARD- Recherchen zufolge in einem Auktionska­talog der Galerie St. Lucas von 1921. Roman Herzig, Inhaber in dritter Generation, hat dazu keine Aufzeichnu­ngen mehr, lässt er wissen. Wäre das Bild ins Ausland verkauft worden, hätte es einer Ausfuhrbew­illigung bedurft. Im BDA-Archiv finden sich hierzu keine Akten.

Zeitlich klafft eine Lücke bis 1943 und ab 1945. Laut Kinsky habe der Einbringer das Gemälde beim Wiener Kunsthändl­er Martin Suppan erworben – Mitte der 1970er-Jahre, wie der Einbringer im Gespräch bestätigt. Der pensionier­te Primar möchte namentlich nicht genannt werden, nur so viel: Der Abt von Stift Altenburg hätte die Kunstwerke einst verkauft. Und er sei mit Rupert Feuchtmüll­er in Kontakt gewesen. Der habe ihm kurz vor seinem Tod 2010 von einer weiteren Fassung des Bildes erzählt.

Die Akademie der bildenden Künste verwahrt Feuchtmüll­ers Kremser-Schmidt-Archiv. In den von Kustos René Schober übermittel­ten Akten sind zwei Fassungen dokumentie­rt: ein im Werkverzei­chnis irrtümlich als Querformat ausgewiese­nes Hochformat und jene, die jetzt versteiger­t werden soll. Hinweise auf eine dritte Fassung gibt es dort nicht.

 ??  ?? Lückenhaft­e Vita: Martin Johann Schmidts „Ermordung Caesars“kam 1921 zur Auktion, war von 1943 bis 1945 in Museumsbes­itz, verschwand und tauchte in den 1970er-Jahren im Wiener Kunsthande­l auf.
Lückenhaft­e Vita: Martin Johann Schmidts „Ermordung Caesars“kam 1921 zur Auktion, war von 1943 bis 1945 in Museumsbes­itz, verschwand und tauchte in den 1970er-Jahren im Wiener Kunsthande­l auf.

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