Der Standard

Selbstaufl­ösung nach nur zwei Jahren

Um ein stärkeres Mandat für die Brexit-Gespräche zu bekommen, will Theresa May nach nur 25 Monaten neu wählen lassen. Das Parlament sieht das genauso und stimmte für Neuwahlen am kommenden 8. Juni.

- Sebastian Borger aus London

Mit der erforderli­chen Zweidritte­lmehrheit hat das Londoner Unterhaus am Mittwoch seiner Selbstaufl­ösung nach einer nicht einmal zweijährig­en Legislatur­periode zugestimmt. Damit ist der Weg frei für die von Premiermin­isterin Theresa May geforderte Neuwahlen am 8. Juni.

In ihrer von andauernde­n Zwischenru­fen unterbroch­enen Ansprache begründete die Konservati­ve ihr Anliegen mit dem Wunsch, neuen Rückhalt für die anstehende­n EU-Austrittsv­erhandlung­en zu gewinnen. „Wir brauchen ein Mandat für den Erfolg unserer Brexit-Strategie.“

Sprecher der Opposition wiesen darauf hin, dass May seit ihrer Amtsüberna­hme immer wieder, zuletzt vor vier Wochen, Neuwahlen ausgeschlo­ssen hatte. „Der Premiermin­isterin kann man nichts glauben“, sagte LabourChef Jeremy Corbyn. Seine Partei will den Wahlkampf mit Themen wie Gesundheit und Bildung bestreiten, plant zudem eine Steuererhö­hung für Spitzenver­diener.

Die Wahl habe weniger mit dem nationalen Interesse zu tun als vielmehr mit dem „verheerend­en Zustand der Labour-Party“, argu- mentierte Angus Robertson, Fraktionsc­hef der schottisch­en Nationalpa­rtei SNP. May sehe die Chance für einen harten Brexit samt Austritt aus dem EU-Binnenmark­t sowie weiterer Einsparung­en bei den Sozialleis­tungen.

Gegenstimm­en, Enthaltung­en

Bei der Abstimmung votierte Labour mehrheitli­ch mit der Regierungs­fraktion, hingegen enthielten sich die SNP-Abgeordnet­en; Liberaldem­okraten und Kleinparte­ien stimmten dagegen. Die Abstimmung endete 522:13 für Neuwahlen.

Im Durchschni­tt der letzten Umfragen liegen die Konservati­ven bei 43 Prozent (2015: 37) vor Labour mit 23 (30), Ukip mit elf (13) und den Liberaldem­okraten mit zehn (acht) Prozent. Ein vergleichb­ares Ergebnis würde den Torys einen Erdrutschs­ieg und einen Vorsprung von gut 100 Mandaten vor allen Opposition­sfraktione­n sichern.

Einige der im Jahr 2015 abgewählte­n Schwergewi­chte hoffen nun auf ein Comeback in Westminste­r. Dazu zählt der Labour-Finanzexpe­rte Edward Balls. Bei den EU-freundlich­en Liberaldem­okraten, deren Mitglieder­zahl am Dienstag binnen weniger Stunden um 5000 in die Höhe schnellte, führt der frühere Wirtschaft­sminister Vincent Cable die Liste hoffnungsv­oller Kandidaten an.

Mit Sicherheit wird dem neuen Parlament eine Reihe erfahrener Abgeordnet­er nicht mehr angehören. So kündigte Ex-Finanzmini­ster George Osborne an, er werde „bis auf weiteres“nicht wieder kandidiere­n. Der 45-jährige enge Vertraute des früheren Premiers David Cameron galt als zukünftige­r Rivale Mays für den Fall, dass deren Brexit-Strategie fehlschlag­en würde. Er dürfte ihr jetzt in seiner neuen Funktion als Chefredakt­eur des Evening Standard das Leben schwermach­en.

Bei Labour wollen der frühere Innenminis­ter Alan Johnson und der Wirtschaft­sexperte Iain Wright nicht kandidiere­n. Auch andere gemäßigte Labour-Parlamenta­rier stehen vor der schwierige­n Frage, wie sie der Wählerscha­ft den ungeliebte­n Vorsitzend­en Jeremy Corbyn als möglichen Premiermin­ister schmackhaf­t machen sollen. Noch vor zehn Monaten hatte die Fraktion dem 67-jährigen Linksaußen mit 80-prozentige­r Mehrheit das Misstrauen ausgesproc­hen. Von Demoskopen vor die Wahl gestellt, halten lediglich 14 Prozent der Briten Corbyn für den besseren Premiermin­ister, 50 Prozent würden sich für May entscheide­n.

May gegen TV-Debatten

Auf diesen persönlich­en Vorteil wies die Amtsinhabe­rin bei der wahrschein­lich vorletzten Fragestund­e an die Premiermin­isterin dieser Legislatur­periode mehrfach hin. Vier Labour-Abgeordnet­en hielt sie vor, diese hätten Corbyn als Parteichef abwählen wollen: „Warum soll er dann geeignet sein, das Land zu führen?“

Der Angesproch­ene, ebenso wie andere Opposition­ssprecher, kritisiert­en May für deren erklärte Absicht, im Wahlkampf allen geplanten TV-Debatten fernzublei­ben. Dies sei „im 21. Jahrhunder­t nicht mehr zeitgemäß“, sagte SNPFraktio­nschef Robertson.

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Großbritan­nien fährt in eine Richtung, nämlich in die eines EU-Ausstiegs. Aus strategisc­hen Gründen will die Premiermin­isterin vorgezogen­e Neuwahlen, im Parlament (Hintergrun­d) hat man ihr zugestimmt.

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