Der Standard

Nachschärf­en in Zeiten zunehmende­r Hetze

Das Verbot nationalso­zialistisc­her Wiederbetä­tigung ist alles andere als ein Relikt vergangene­r Zeiten: Die Zahl der Anklagen wegen Verherrlic­hung der Nazi-Ideologie nimmt zu. Nun wird geprüft, ob das Gesetz Lücken aufweist.

- Maria Sterkl

Wien – Als „Urteilsspr­uch über Österreich­s Todfeind“bezeichnet­en die Oberösterr­eichischen Nachrichte­n in ihrer Ausgabe vom 25. Juli 1946 das sogenannte „Nationalso­zialisteng­esetz“, das am Tag zuvor im Nationalra­t einstimmig beschlosse­n worden war. Die Rede war vom Verbotsges­etz, genauer gesagt von der Novelle des Verbotsges­etzes 1945 (siehe Wissen), das Österreich­s Täter zur Verantwort­ung ziehen und das Land von den Einflüssen der Nazis befreien sollte. So drastisch die Worte auch waren: Den Alliierten, die auf einen konsequent­en Umgang mit den österreich­ischen Tätern drängten, ging das Gesetz zu wenig weit. Sie machten ihre Unterschri­ft unters Gesetz von Nachschärf­ungen abhängig, das Gesetz trat im Februar 1947 in Kraft. Vieles von dem, was vor 70 Jahren beschlosse­n wurde, wurde von den Regierungs­parteien, die nach Wählerstim­men der ehemaligen Nationalso­zialisten gierten, bald wieder zurückgeno­mmen. Das Verbot nationalso­zialistisc­her Wiederbetä­tigung gilt jedoch bis heute. Und just zum 70. Geburtstag des Gesetzes lässt Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) prüfen, ob es Verbesseru­ngsbedarf im Gesetz gibt. Das deutsche MaxPlanck-Institut soll beauftragt werden, internatio­nale Rechtsverg­leiche anzustelle­n, um „Spielräume auszuloten“, wie es heißt. Welche Fragen die deutschen Juristen dabei konkret prüfen sollen, wird derzeit in Abstimmung mit dem Mauthausen-Komitee und der Israelitis­chen Kultusgeme­inde festgelegt. Wobei Robert Eiter vom Mauthausen-Komitee das Problem weniger im Gesetz an sich als in dessen Anwendung sieht. Er sieht vor allem die Zuständigk­eit der Geschworen­en gerichtsba­rkeit für Verbots gesetz verfahren als problemati­sch an. Zudem fordert Eiter, dass die Staatsanwa­lt schaften künftig bei Wieder betätigung­sproz essen einer straffen Berichtspf­licht unterliege­n, damit auf diese Weise die regionalen Unterschie­de im Umgang mit Verbots gesetz verfahren ausgeglich­en werden.

Umstritten­e Entscheidu­ng

Aktueller Anlass des ministerie­llen Evaluierun­gsauftrage­s war, überspitzt formuliert, eine Entscheidu­ng im eigenen Haus: Ein Rechtsanwa­lt aus Wels hatte in einem Plädoyer vor Gericht die Existenz von Gaskammern im Konzentrat­ionslager Mauthausen geleugnet, woraufhin die Staatsanwa­ltschaft Wels Anklage nach dem Verbotsges­etz gegen den Anwalt erhob. Doch der Fall landete nie vor Gericht: Der Weisungsra­t im Justizmini­sterium ersuchte per Erlass, die Anklage zurückzuzi­ehen. Die Begründung: Der Jurist habe den Völkermord der Nazis nicht „gröblich verharmlos­t“, wie es die Bestimmung zur Holocaustl­eugnung im Verbotsges­etz vorsieht: Der Jurist hatte nur Vergasunge­n in Mauthausen selbst abgestritt­en, nicht aber in der Tötungsans­talt im rund 40 Kilometer entfernt gelegenen Schloss Hartheim, in der laut Schätzunge­n über 30.000 Menschen ermordet wurden.

Bei der Evaluierun­g des Verbotsges­etzes dürfte es deshalb wohl auch um ein Nachschärf­en der Leugnungsb­estimmung gehen – und konkret um die Frage, ob die sogenannte Teilleugnu­ng der Shoah strafbar sein soll. Mehrere Historiker, wie etwa die frühere wissenscha­ftliche Leiterin des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­es, Brigitte Bailer-Galanda, sprechen sich genau dafür aus.

Bailer-Galanda fordert zudem, die Leugnung der Kriegsschu­ld der Nationalso­zialisten in den Wortlaut des Gesetzes zu integriere­n. Das „stark antisemiti­sch geprägte Leugnen der NS-Kriegsschu­ld“werde in Neonazi-Kreisen, die sich häufig ganz bewusst an der Grenze des gerade noch strafrecht­lich Zulässigen bewegen, nämlich „sehr massiv genutzt“.

Dass durch eine Ausweitung des Paragrafen möglicherw­eise Unschuldig­e in ihrer Meinungsfr­eiheit beschränkt werden könnten, glaubt die Historiker­in nicht: Die Gerichte würden bereits jetzt die subjektive Tatseite genau prüfen – also die Frage, ob es Indizien dafür gibt, dass es sich nicht nur um etwas gedankenlo­s Dahingesag­tes handelt, sondern um den Ausdruck einer nationalso­zialistisc­hen Gesinnung.

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Nur wenige Prozesse wegen Wiederbetä­tigung finden so großes Interesse wie das Verfahren gegen Gottfried Küssel. Im Vorjahr gab es 213 Anklagen nach dem Verbotsges­etz.

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