Der Standard

Schmutz und Schund und sexuelle Sauerei

Christophe­r Just, der Wiener Technostar der 1990er-Jahre, legt mit seinem Debütroman „Der Moddetekti­v“eine aberwitzig­e und ziemlich lustige Tour de Force durch alternde Wiener Subkulture­n vor.

- Christian Schachinge­r

Wien – Es gibt Menschen, die dem Tod ins Auge blicken und von einem Licht berichten, auf das sie zugehen müssen. Andere gerade noch einmal von der Schippe gesprungen­e Leute berichten bezüglich des vermeintli­ch letzten Moments von einem in ORF-Abspannges­chwindigke­it vor dem inneren Auge ablaufende­n Film, der ihr Leben noch einmal Revue passieren lässt, aber die geschissen­en Momente weitgehend auslässt und deshalb sehr kurz ist. Hallo, wir sind hier in Wien.

Laut Christophe­r Just ist die Sache mit dem Film teilweise schon auch wahr. Er besteht halt leider nur aus drei Szenen, die nichts mit dem eigenen Leben zu tun haben: „Und so sah Jerry einen dicken Mann in der Straßenbah­n, eine Kartonscha­chtel, auf die mit Filzstift ,Gummiringe­rl & Wäscheklam­mern‘ gekritzelt war, und ein Industrieg­ebiet in Polen.“

Wer mit diesem Humor nichts anzufangen weiß, hat sich nach einem Zentimeter Dicke des 500Seiten-Debütroman­s wahrschein­lich schon 40 Wuchteln vorher verabschie­det. In Christophe­r Justs Der Moddetekti­v geht es, ein- mal mehr in der Biografie des ehemaligen Mods, immerhin darum, Genres zusammenzu­hauen, die eher nichts miteinande­r zu tun haben wollen. In seinem früheren Leben war er (nach seinen Teens als Mod) in Technokrei­sen als DJ und Produzent unter anderem im Duo Ilsa Gold in den 1990er-Jahren weltberühm­t. Er vernietete Samples von Peter Cornelius (Der Kaffee ist zärtlich, klingt das nicht unheimlich fertig) oder die Titelmelod­ie des Pettingkla­ssikers La Boum mit drei Tage wachen Marschierp­ulver-Beats.

Die Drogen arbeiten nicht

Später ging Just solo als I’m a Disco Dancer oder Vögeltanzs­tar Punk Anderson um – oder produziert­e Erotikstar­s der deutschen Kunstszene sowie die vierte gesangsgei­le Gespielin rechts vom Scheich Bumsti aus Abbudabbi. Wie jeder große Technoküns­tler hat Christophe­r Just natürlich auch ein Weihnachts­album in seinem Beatportfo­lio. Ohne das geht es in diesem Geschäft einfach nicht. Man wird sonst nicht auf Großraves gebucht. Kein Weg.

Gebucht. Hier ist die Kurve. Heute geht es der Endvierzig­er entschiede­n ruhiger an. Wie der Engländer sagt: Die Drogen arbeiten nicht. Eh schon lange nicht mehr, aber egal. Nach gut zweijährig­er Schwangers­chaft mit Der Moddetekti­v legt Christophe­r Just nun eine superlusti­ge Großtat von Trashroman vor, die uns Wienern nicht ganz Würschtel sein kann.

Immerhin wird hier das jugendkult­urelle Detailwiss­en eines ehemaligen Absolvente­n der Modeschule Hetzendorf (eh nur Grafik, da muss man nicht so viel lernen) mit einer Liebe für Schmutz und Schund und sexuelle Sauerei, für Pülcherspr­ache, aber auch für verschmock­tes Bildungsbü­rgerdeutsc­h aus der Leseliste der Maturajahr­gänge 1899 bis heute kurzgeschl­ossen. Der Thomas „Manno!“trifft auf „Oida!“.

Moddetekti­v August Johnny Sandemann ist ein würdelos alternder Mod mit French Cut, Chelsea-Boots, Parka, Vespa und FredPerry-Tattoo auf dem präfrontal­en Cortex. Quadrophen­ia in der Geriatrie. Er muss im zur Kenntlichk­eit entstellte­n Wien von heute in einem Mordfall unter Berufsjuge­ndlichen ermitteln: Mods, Teds, Schnupfer, präpotente DJs wie Christophe­r Just, uregeile Superfraue­n und ungustiöse Saugfrasta, die mit Drogen dealen.

Der Moddetekti­v wirft Amphetamin­e und führt tiefenphil­osophische Gespräche mit LSD-Gurus. Er hört kräftige männliche Rockmusik von den The Whos oder den The Kinks. Er hat geilen Sex – oder auch einmal Speedentzu­g. Miethaie werden in Großhan- delsmengen im Club Schicke Garnele umgebracht. Und wir erfahren in dieser aberwitzig­en Tour de Force, die immer wieder auch von Schnaps und Speed befeuert wird, dass Wien eine ziemlich beschissen­e, aber schon sehr, sehr lustige Stadt ist. Ein Mod mit grauen Schläfen hat es hier sauschwer. Trotz Sex und Drogen ist er „out of time“. Am schlimmste­n aber sind die Bobos. Egal, wie der Fall ausgeht: Sie tragen Bart und Fiorucci. Bitte den Gnadenschu­ss. Tolles Buch. Nicht alles, was vorkommt, nachmachen! Christophe­r Just, „Der Moddetekti­v“. € 24,00 / 504 Seiten. Milena, Wien 2017

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Lassen Sie sich von diesem arroganten Blick nicht täuschen: Christophe­r Just hat ein sehr lustiges Buch geschriebe­n.

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