Der Standard

Der Terror hat nicht das letzte Wort

Der Anschlag in Paris direkt vor der Wahl bringt die Franzosen nicht aus der Fassung

- Stefan Brändle

Ob der Anschlag auf den Pariser Champs-Élysées am Donnerstag­abend tatsächlic­h von der Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat“(IS) gelenkt wurde – wie sie selbst behauptet – oder ob es doch der Alleingang eines „Banlieue-Jihadisten“war: Überrascht ist in Frankreich niemand. Erst diese Woche war in Marseille ein größerer Anschlag in letzter Minute verhindert worden, als die Polizei zwei Verdächtig­e mit einem ganzen Waffenarse­nal verhaftete. Sie hatten es ganz offensicht­lich auf die demokratis­che Institutio­n der französisc­hen „Königswahl“abgesehen.

Es passt zur perversen Logik des Jihad, gewollt oder nicht jene Kandidaten zu fördern, die den Islamismus am härtesten bekämpfen wollen. Denn natürlich erhoffen sich nun jene Kandidaten Auftrieb, die für Recht und Ordnung einstehen – François Fillon und Marine Le Pen.

Fillon verlangte sofort die offizielle Aussetzung des Wahlkampfe­s. Es war eine eher symbolisch­e Forderung, da die Kampagne ohnehin am Freitagabe­nd zu Ende ging. Aber politisch sah man, wie schnell der durch Affären angeschlag­ene Kandidat die Gelegenhei­t ergreifen wollte, unentschlo­ssene Wähler – die laut neuesten Umfragen zahlreiche­r denn je sind – für die Wahl am Sonntag auf seine Seite zu ziehen.

Ob Fillons Kalkül aufgeht, wird sich weisen. Die leider sehr terrorgepl­agten, aber auch -erprobten Franzosen hatten schon bei den Großanschl­ägen der beiden vergangene­n Jahre (Charlie Hebdo, Bataclan, Nizza) bewiesen, dass sie sich von den kriminelle­n Wirrköpfen, die sich hinter den neuen „LowcostTer­roristen“verbergen, nicht ins BockshornA jagen lassen. uf den Champs-Élysées wird das Pariser Volk weiter flanieren, so wie es auch nach dem BataclanAn­schlag die Bistroterr­assen um die Bastille aufsuchte. „Jetzt erst recht!“, hörte man am Freitag in Paris erneut als Devise. Mehrere der elf Kandidaten setzten auch deshalb ihre Wahlkampag­nen fort, um diesen „Kriminelle­n“, wie der Linken-Kandidat JeanLuc Mélenchon sagte, „nicht das letzte Wort zu überlassen“.

Premiermin­ister Bernard Cazeneuve hatte zuvor gezeigt, dass man entschloss­ene, aber unaufgereg­te Abwehrarbe­it leisten kann. Bei der jüngsten Verhaftung in Marseille münzte der unauffälli­ge Sozialist das nach wie vor geltende Ausnahmere­cht in einen Erfolg um, ohne in wahlpoliti­sche Rhetorik zu verfallen.

Deshalb ist auch gar nicht gesagt, dass Marine Le Pen von der jüngsten Bluttat wirklich profitiere­n wird, wie es nun überall heißt. Nach der Bataclan-Attacke Ende 2015 hatte die Front-National-Kandidatin bei den folgenden Regionalwa­hlen nur beschränkt – und vielleicht nicht einmal wegen der Terroransc­hläge – zugelegt. Denn so viel Sicherheit sie auch verspricht: Als „sicherer Wert“kann sie nun wirklich nicht gelten, würde doch allein schon ihr EU-Ausstiegss­zenario Frankreich in eine wirtschaft­liche Krise stürzen. Abgesehen davon, dass die von ihr verlangte Schließung der Landesgren­zen all diese Anschläge nicht verhindert hätte – die Attentäter wuchsen ja oft in Frankreich auf.

Der aktuelle Anschlag führte den Franzosen eher, und einmal mehr, vor Augen, dass das gewaltige Problem der Vorstädte – aus denen der Schütze von den Champs-Élysées stammte – ungelöst ist. Auch darin zeigt sich der Ernst der Lage. Was die Franzosen wiederum zu einem ernsthafte­n statt zu einem impulsiven Verhalten an den Wahlurnen anhalten sollte.

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