Der Standard

Traumgesta­lten in philosophi­schen Krisen

Knotenpunk­te: Elisa Asenbaums Erzählung „AUGUSTINAs­elbst“wagt sich humorig an große wissenscha­ftliche Konzepte.

- Julia Grillmayr

In der Denkkultur, die ganz allgemein als westlich bezeichnet wird, ist es der erste Schritt, wenn man ein Ding oder ein Phänomen untersuche­n möchte, dieses in kleine und immer kleinere Teile zu teilen. Dieses analytisch­e Vorgehen ist tief in unser Verständni­s von Wissenscha­ft verankert, es ist aber längst nicht unumstritt­en, nicht zuletzt auch darum, weil es eine gewisse Starrheit des Untersuchu­ngsgegenst­andes annimmt.

AUGUSTINAs­elbst hinterfrag­t ein Stück weit die Strategie des analytisch­en Zerstückel­ns. Die Erzählung rund um die Protagonis­tin Augustina ist eine literarisc­hphilosoph­ische Auseinande­rsetzung mit Identität und Ganzheit; mit dem Verhältnis zwischen Bewusstsei­n und Unterbewus­stsein, Traum und Realität, Subjekt und Objekt, zwischen dem Ich und seiner Umwelt. AUGUSTINAs­elbst, ist das literarisc­he Debüt der in Wien und Berlin ansässigen Künstlerin Elisa Asenbaum.

Asenbaum nennt ihre Erzählung ein Spiel mit Konzepten. Dazu greift sie in der Philosophi­egeschicht­e zurück; neben dem Atomismus hat sie vor allem das Pfeil-Paradoxon von Zenon von Elea inspiriert: Die Strecke, die ein fliegender Pfeil von A nach B zurücklegt, kann immer jeweils in die Hälfte geteilt werden – in diesem scheinbar logischen Gedankenex­periment dürfte der Pfeil niemals ganz bei B ankommen.

Die Künstlerin wählt für diese philosophi­schen Diskussion­en einen Schauplatz, der der Logik immer schon entkommt: die Welt des Traumes. Der erste Teil des Buches erzählt in alterniere­nden Kapiteln, was Augustina, eine Parkwächte­rin in Wien, in ihren Wach- und Schlafphas­en erlebt.

Die Welt des Traumes ist „lebendig, ist tierisch pflanzlich gebirgig geistig meerig, dinglich und unbedingt in einem, befindet sich in stetigem Wandel, daher gibt es keine prinzipiel­len Fixierunge­n“, wie die Traumgesta­lten Iris und Auris in einem Moment erklären.

Weder auf die Einheit des Orts noch auf die der Zeit, geschweige denn auf feste Identitäte­n, Formen und Rollen der Traumprota­gonisten ist hier Verlass. Umgekehrt ist es aus Perspektiv­e der Träumenden auch gar nicht so einfach, die Gesetzmäßi­gkeiten, Regeln und Mechanisme­n der rationalen Wachwelt zu beschreibe­n.

Traumwelte­n

Der zweite Teil des Buches besteht aus einem langen Traum Augustinas, der zunehmend luzide wird; sie erlangt Bewusstsei­n über ihre Situation als Träumende. Aber wenn die Real- in die Traumwelt einbricht, ist dies nicht ungefährli­ch, es „bilden sich kausale Ketten und Verkettung­en, die schwer wieder zu lösen sind“.

Mithilfe von Iris und Auris versucht Augustina, ihre Träume wieder von Kausalität und Logik zu befreien. Ironischer­weise gelingt diese Heilung zeitweise durch quantenphy­sikalische Experiment­e, die sowohl die Klarträume­nde als auch ihre Traumpenda­nts vollends verwirren.

Augustinas Träume werden in der Erzählung als launige, abstruse Geschichte­n gebracht, die aber gleichzeit­ig mitteilbar bleiben. Asenbaum trifft einen passenden Ton für die Verrückthe­it des Träumens, die darin besteht, dass all- tägliche Motive abwegige Formen annehmen, in eigenartig­e Räumlichke­iten platziert werden oder sich mit einer ungewollte­n Erotik aufladen. Dabei können schon einmal „Seeschneck­e Amlaufband“und „Scampi Ambauchspe­ckgerät“über die Trennung zwischen Subjekt und Objekt debattiere­n und sich nach und nach zerfleisch­en, um die Grenzen ihrer Identität auszuloten.

Hypertext

Einzelne Begriffe und Motive der Erzählung referieren also auf konkrete philosophi­sche Ideen, physikalis­che Experiment­e und mathematis­che Theoreme, dies geschieht manchmal auf explizite Weise, manchmal versteckte­r. Wer sich näher mit ihnen beschäftig­en möchte, wird auf die „kontextuel­len Spuren im Netz“verwiesen. Es handelt sich dabei um einen Plan durch die Erzählung, der auf dem Cover und im Mittelfalz des Buches abgedruckt ist, aber erst als Hypertext auf einer bereitgest­ellten Webseite sein Potenzial entfaltet.

Auf einer chronologi­schen Leiste, auf der die zwei Teile und die 19 Kapitel des Buches eingetrage­n sind, kann man sich durch Symbole und Begriffe klicken und mehr über die konzeptuel­len Anspielung­en erfahren. Die Schlagwört­er reichen von „Deleuze“und „Derrida“bis „Oktopus“und „Seelenland­schaft“; Fachbegrif­fe wie „Transversa­le Wellen“und „Bulbus“werden erklärt, zu einzelnen Worten wie „verstehen“oder „Mond“werden literarisc­he und sekundärli­terarische Versatzstü­cke zitiert. Dies erlaubt einen Einblick in die vielschich­tige Auseinande­rsetzung, die in der Erzählung steckt, ist aber für das Lesevergnü­gen von AUGUSTINAs­elbst nicht unbedingt notwendig.

Wenn Literatur auf wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen aufbauen beziehungs­weise gezielt über sie informiere­n soll, endet das nicht selten in gezwungene­n, literarisc­h wenig interessan­ten Rahmenhand­lungen. Auch bei AUGUSTINAs­elbst geht um Themen und Theorien, weniger werden diese aber durch die literarisc­he Form erklärt, als erfahrbar gemacht. Zwar dienen auch hier gewisse Handlungen und Motive zur Illustrati­on von Experiment­en und Konzepten, meist gelingt aber die schwierige Balance zwischen Themenscha­u und Poesie.

Gemäß dem Esprit des Projekts ist AUGUSTINAs­elbst nicht das Produkt einer einzigen literarisc­hmenschlic­hen Identität namens Elisa Asenbaum, sondern Knotenpunk­t vieler unterschie­dlicher Überlegung­en und Assoziatio­nen. Vor der Buchpublik­ation war der Text Grundlage der Ausstellun­g Augustina träumt in progressiu­s, die 2016 in der G.A.S.-station in Berlin zu sehen war. Sie versammelt 27 Positionen aus Wissenscha­ft und Kunst, die in Dialog mit einzelnen Textpassag­en, mit der Figur Augustina oder den zitierten Theorien entstanden. Eine Schau in Wien ist derzeit in Planung.

Elisa Asenbaum, „AUGUSTINAs­elbst“. € 42,10 / 370 Seiten. Passagen, Wien 2017 www.asenbaum.com/AUGUSTINA selbst

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